OsmansToechter 008 | MUSICAL TODAY

Osmans Töchter – Kochshow wider Willen

Fremd auf der eigenen Bühne

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Musiktheater im Revier
von
Stückentwicklung von Das Helmi Puppentheater, dem Ensemble und Gästen
Jakob Dobers, Neda Pourbakhshayeshi aka addeN, Emir Tebatebai und Florian Loycke (Buch)
Regie
Florian Loycke
Uraufführung
2025

„Osmans Töchter – Kochshow wider Willen“ lässt über den eigenen Tellerrand blicken 

„Osmans Töchter – Kochshow wider Willen“ wird von seinen Machern, dem Puppentheater „Das Helmi“, als deutsch-türkisches Puppenmusical bezeichnet. Das Stück ist ein Kooperationsprojekt mit dem Saarländischen Staatstheater, wo es wenige Wochen vor der Gelsenkirchener Premiere uraufgeführt wurde.

Der Musicalkenner wähnt sich zunächst wie im falschen Film, da Florian Loyckes Inszenierung auf den ersten Blick an Improvisationstheater erinnert. Unter der musikalischen Leitung von Jakob Dobers fungiert die Musik überwiegend als begleitendes Element zu einem bewusst chaotisch wirkenden Puppenspiel – teils live eingespielt, teils aus der Retorte. Die Spielerinnen und Spieler treten häufig neben oder vor ihre Puppen aus buntem Schaumstoff. Spielende bedienen mehrere Figuren im Wechsel. So kommt auch ein sechsarmiger Octopus zu Wort, der nicht gekocht, sondern lieber Koch werden möchte. Die wenigen Songs sind orientalisch geprägt, der Chor begleitet seine Lieder mit türkischem Folklore-Tanz. Die Liedtexte wechseln zwischen Deutsch und Türkisch. Eine Übersetzung per Teleprompter hätte gut funktioniert, wird jedoch offenbar bewusst vermieden, um das Unverständnis zu spiegeln, mit dem Osman lebt.

Der ist ein türkischer Ingenieur, dessen Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt wurden. Dennoch blieb er, eröffnete ein Restaurant und gründete eine Familie. Seine Frau ließ ihn mit den gemeinsamen Töchtern sitzen. Inzwischen sind diese erwachsen geworden: Petra, die älteste, ist untergetaucht, Nilüfer plant mit ihrem neuen Freund Thomas ihre Hochzeit. Osman sehnt sich nach einer Zukunft mit Katharina, mit der er eine Affäre hat. Mit seinen Sehnsüchten fühlt er sich auch von den Frauen in seinem Leben unverstanden und verschwindet spurlos. Als Cemre, die allein durchs Leben geht, das Lokal übernimmt, taucht die verschollen geglaubte Schwester auf – oder ist auch sie nur ein Geist, wie jene Tanten, die Cemre singend und klatschend das Kochen beibringen?

Der Bühnenaufbau ist dreigeteilt. Links ist das kleine musikalische Ensemble positioniert, alles glitzert und funkelt. In der Mitte steht eine Tischgruppe, die als Restaurant oder als Esszimmer der Familie dient. Rechts befindet sich eine moderne Küche mit Kochinsel. Hier tummeln sich zahlreiche Gemüse- und Fisch-Handpuppen, die alle zu Wort kommen. Die Puppen und Kostüme der türkischen Familie sind in schrillen Farben gehalten. Die Spieler deutscher Figuren treten farblich hinter den teils grotesk wirkenden Puppen zurück: Thomas wird als Wildschwein dargestellt – wer ist nun auffällig oder fremdartig?

Trotz des roten Fadens der Story geht dieser im bunten Treiben fast verloren. Bewusst zielt die Inszenierung knapp an der Realität vorbei, um das Publikum emotional zu erreichen, wie Dramaturgin Verena Katz im Programmheft beschreibt. Zuschauende möchten verstehen, sich wiederfinden und ihren Horizont erweitern. Das sind Sehnsüchte, die auch Osman und seine Töchter teilen. Wie unverstanden erleben sich Zuwanderer in Deutschland? Wie einsam muss man sein, wenn selbst Lebensmittel Sprechrollen bekommen? Was zunächst komisch erscheint, regt schließlich zu einem Verständnis für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte an.

Emir Tebatebai zeigt als Osman Özer mit und ohne entsprechende Puppe eindrucksvoll die Verlorenheit und Verwirrung eines heimatlos gewordenen Zuwanderers. Ebenso überzeugend ist Neda Pourbakhshayeshi als Cemre, die ihren Vater trösten möchte, ohne sich selbst zu weit zu öffnen. Wie stimmig, dass gerade sie am Ende der Vorstellung das Wort an das Publikum richtet und sich für dessen Offenheit bedankt. Hier wird nicht gezeigt, was das westlich geprägte Musicalpublikum gewohnt ist. Es gilt tiefer zu blicken, um nicht nur über die Absurdität der Geschichte zu lachen oder den Kopf zu schütteln, sondern sich selbst und seine zugewanderten Mitbürger neu wahrzunehmen: weniger besonders oder anders, dafür umso menschlicher.


Musikalische Leitung: Jakob Dobers • Regie und Puppenbau: Florian Loycke • Bühne: Florian Loycke und Louise Pons • Kostüme: Jeanot Kempf • Schaumstoff-Requisiten: Nolundi Tschudi • Licht: Marius Steinert • Sounddesign: Jörg Debbert • Mit: Emir Tebatebai (Osman Özer u.a.), Gizem Akman (Petra Özer u.a.), Daniel Jeroma (Nilüfer Özer u.a.), Neda Pourbakhshayeshi aka addeN (Cemre Özer u.a.), Gloria Iberl-Thieme (Katharina Thalbach/Yussuf u.a.), Maximilian Teschemacher (Habibi Alman/Octopus u.a.), Jakob Dobers (Cem Karaca u.a.), Florian Loycke (Eşek u.a.), Gülsüm Canbey, Sultan Eroğlu, Fulya Güngör, Zeynep Kuruçay, Selda Paca, Nazlı Polat (Teyzes)

Aufmacherfoto: Sascha Kreklau

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