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DDT FruehlingsErwachen04cNico Kleemann | MUSICAL TODAY

Frühlings Erwachen

Coming of Age

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Das Da Theater (Open-Air-Bühne Burg Wilhelmstein)
von
Steven Sater (Buch und Liedtexte)
Duncan Sheik (Musik)
Regie
Tom Hirtz
Uraufführung
2006

Ein spielwütiges Ensemble für „Frühlings Erwachen“

Frank Wedekinds schon 1891 publizierte Abrechnung mit der Bigotterie des Bürgertums brauchte wegen ihres skandalträchtigen Inhalts 15 Jahre, bis sie auf die Bühne kam – und weitere 100 Jahre, bis der Broadway ihre zeitlosen Qualitäten entdeckte. 2006 schickten Duncan Sheik (Musik) und Steven Sater (Buch und Liedtexte) die Jugend der wilhelminischen Zeit mit Rock- und Popsongs in den Kampf gegen die sexuelle Verklemmtheit der Erwachsenen und das rigide Schulsystem. „Spring Awakening“ erobert seitdem die Musicalbühnen der Welt – auch als Antwort auf den weitgehend in Mega- und Jukebox-Produktionen erstarrten Broadway.

Tom Hirtz ist mit seiner Inszenierung durchaus ein Wagnis eingegangen, denn auf den Freilichtbühnen der Republik ist traditionsgemäß leichte (Familien-)Unterhaltung angesagt. Aber hier geht es um ernste Themen: die sexuellen Nöte pubertierender Jugendlicher, ihre Versagensängste und Schuldgefühle, um illegale Abtreibung und Selbstmord.

„Frühlings Erwachen“ beginnt mit dem Lied der 14-jährigen Schülerin Wendla (Carina Krämer), die ihre Mutter (Sammy-Jo Wooley) anfleht: „Mama! Wie bin ich entstanden?“ – und mit der Antwort abgespeist wird, dass sich dazu Mann und Frau das Ehebett teilen müssen. Auch Wendlas genauso unaufgeklärte Freundinnen Martha (Kate Lucas), Thea (Celina Höbel) und Anna (Johanna Kuhlmann) fragen sich, was beim „ersten Mal“ passiert. Nur Marthas ältere Schwester Ilse (Sarah Artley) hat die Konsequenzen gezogen und ihr bigottes Elternhaus gegen eine freidenkende „Künstlerkolonie“ eingetauscht. Melchior (Tobias Steffen) hat sich schon lange schlau gemacht und klärt seinen unter feuchten Träumen „leidenden“ Klassenkameraden Moritz (Timo Aust) mittels detaillierter Beschreibungen und Zeichnungen auf. Doch Moritz drückt noch ein anderer Schuh: Er bangt um seine Versetzung. Als seine Befürchtungen zur Gewissheit werden, ist er völlig verzweifelt. Ilse versucht ihn zu verführen und mit sich zu nehmen. Doch Moritz begeht Selbstmord. Melchior und Wendla haben mittlerweile ein Kind gezeugt, bei dessen Abtreibung Wendla stirbt. Während für Melchior – der zudem von Lehrern und Eltern für den Tod von Moritz verantwortlich gemacht wird – eine Welt zusammenbricht, erleben seine Mitschüler Hänschen (Niklas Schinke) und Ernst (Maciej Bittner) ihr beglückendes Coming-out.

Ein großes Plus von Tom Hirtz’ einfühlsamer Inszenierung ist sein Mut, das im Original zweieinhalb Stunden dauernde Musical auf 105 Minuten zu straffen. So bleiben einem die Redundanzen der eins zu eins übernommenen Wedekind-Vorlage – aber auch deren groteske Überzeichnung der Erwachsenen – erspart. Obwohl diese Charaktere, allesamt dargestellt von Dennis Pabst, Anja Mathar und Sammy-Jo Wooley, nicht immer glaubhaft wirken beim Sprung vom späten 19. Jahrhundert in die 1950er Jahre, in die Hirtz die Handlung verlegt hat. Das spielwütige junge Ensemble – aus dem die viel Schauspiel- und Gesangstalent beweisenden Sarah Artley und Tobias Steffen herausragen – kommt da schon überzeugender mit der Transformation zurecht.

Der originelle Einfall, das Stück auf einem auf dem Boden liegenden Kreuz in einer mit bunten Tüchern drapierten Friedhofslandschaft spielen zu lassen (Bühne: Frank Rommerskirchen und Judith Meyer), kombiniert sinnfällig den Spagat zwischen Schauspiel-Vergangenheit und Musical-Moderne. Der spiegelt sich auch in Christoph Eisenburgers Arrangements von Duncan Sheiks zwischen fetzigen Rocksongs und melancholischen Pop-Balladen angesiedelten Kompositionen wider. Vor allem, weil Eisenburger seine Live-Band mit Piano, Gitarre, Bass und Schlagzeug diesmal mit Violine, Cello und Viola verstärkt hat. Zusammen mit den vom poetischen „Tüchertanz“ bis hin zum dynamischen Finale hübsch anzusehenden Choreografien von Eveline Gorter ergibt sich so ein Musical-Feeling, das nicht nur Unterhaltung bietet, sondern auch Nachdenklichkeit erzeugt.


Musikalische Leitung: Christoph Eisenburger • Choreografie: Eveline Gorter • Bühne: Frank Rommerskirchen und Judith Meyer • Kostüme: Rebekka Rück und Frank Rommerskirchen • Licht: Marc Zielke, Armin Pappert und Maren Dupont • Sounddesign: Jochen Baltes und Armin Pappert • Mit: Tobias Steffen (Melchior), Carina Krämer (Wendla), Timo Aust (Moritz), Sarah Artley (Ilse), Kate Lucas (Martha), Celina Höbel (Thea), Johanna Kuhlmann (Anna), Maciej Bittner (Ernst), Niklas Schinke (Hänschen), Dennis Papst (Schuldirektor/Herr Schmidt/Vater von Melchior/Vater von Moritz), Sammy-Jo Wooley (Mutter von Wendla/Lehrerin), Anja Mathar (Mutter von Melchior), Piet Hirtz (Enkel)

Aufmacherfoto: Nico Kleemann

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