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Evita

Zu viel und zu wenig

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Staatstheater Augsburg (Freilichtbühne am Roten Tor)
von
Andrew Lloyd Webber (Musik)
Tim Rice (Gesangstexte)
Regie
Florian Mahlberg
Uraufführung
1978

Das schwierige Erbe der Eva Perón

Zwischen Mythos und historischer Realität bewegt sich die Figur Evita: Volksheldin, Präsidentenfrau und tragische Märtyrerin. Andrew Lloyd Webbers Musical um Eva Perón reiht sich ein in seine Liste spektakulärer Megamusicals: „Cats“, „Jesus Christ Superstar“ oder „Das Phantom der Oper“ – beeindruckende Bühnen, dramatische Geschichten und eingängige Melodien. In Augsburg trifft das Argentinien des 20. Jahrhunderts auf die mittelalterliche Kulisse der Freilichtbühne am Roten Tor. Das Spektakel hält sich allerdings in Grenzen.

„Oh What a Circus, oh what a Show“: Erzählfigur Che lässt Evita aus dem Sarg auferstehen, als deren Trauerzug die Rampe besteigt. Aus armen Verhältnissen stammend, arbeitet sie sich von Mann zu Mann, bis zur Gattin des Oberst Perón, macht ihn zum Präsidenten und sich selbst zur Frau des Volkes. Wie genau ihr das gelingt, bleibt im Stück genauso offen wie die Frage nach Gut oder Böse. Intrigen spinnend bahnen sich beide den Weg durch das in Zeitlupe protestierende Volk – ein schönes Bild. Ansonsten nimmt die Freilichtbühne die statische Inszenierung nur undankbar an. Spannende Ideen lassen auf sich warten. Nach der Pause taut das Geschehen auf, verliert sich aber im Choreo- und Lichter-Salat der aneinandergereihten Shownummern. Was erst zu wenig war, wird schnell zu viel.

Die Hausfassaden von Buenos Aires geben den Weg frei für die ikonische Balkonszene im weißen Kleid und den Welthit „Don’t Cry for Me Argentina“. Der Facettenreichtum der neuen symphonischen Fassung unter Dirigent Sebastiaan van Yperen scheitert an der Tonanlage – schade. Zum Gesamtbild trägt der energielose Chor nicht gerade bei, dessen Kontinuität lediglich in seiner Asynchronität zur Musik besteht. Dafür gehen das Staatsballett und das Ensemble von Young Stage Augsburg mit Energie voran und auch Chorsolist Gerhard Werlitz kann sich als Agustín Magaldi, Evas erste Stufe der Karriereleiter, hören lassen.

Das Dreiergespann um Evita, Che und Perón bilden ein eingespieltes Team, das gemeinsam gegen die Schwunglosigkeit schuftet. Die Attentatsmontage in „James Bond“-Manier etabliert Perón als kaltblütigen Mörder. Alexander Franzen ist dabei anfangs fast zu kraftvoll, zeigt gegen Ende aber die berührend dramatische Seite eines Präsidenten, der mit seiner Frau auch seinen Status verliert. Katja Berg schüttet ihr Herz in die komplexe Titelpartie, in der sie bei etwas kopfigen Höhen vor allem mit warmen Tiefen und kraftvollem Belt überzeugt. Ihrer Engelsstimme steht Hannes Stafflers rockiger Che gegenüber, der, mehr Diener als Erzähler, mit undankbaren Aufgaben wie dem Auf- und Abtragen von Requisiten befrachtet wird – von Staffler elegant und stimmlich souverän gemeistert.

Der konzeptionelle Coup des geheimnisvollen Mädchens La Vida – Evas junges Alter Ego – erklärt sich weder im Programmheft noch auf der Bühne und bleibt bis zum Ende ein metaphorisches Mysterium – wie die Person Evita selbst. Absicht? Vielleicht. Dieselbe Frage stellt sich bei der Kostümgestaltung von Nora Johanna Gromer, die statt Historizität eher das Gefühl zusammengenähter Faschings-Reste aus dem Fundus evoziert. So tanzt während Ches gelungener Shownummer „Spendengelder fließen“ das Ensemble in lediglich einseitig bemalten Skelett-Anzügen.

Mit fast 50 Jahren auf dem Buckel ist dieser melancholische Stoff vielleicht nicht der geeignetste für Sommer, Sonne, Festspielsaison. Thematische Aktualität löst sich in Florian Mahlbergs Inszenierung kaum ein. Nach dem schön-sentimentalen Ende, bei dem Evita zu Che ins vernebelte Jenseits schreitet und Perón zurückbleibt, zögert das Publikum kurz, belohnt den Abend dann aber mit jubelnden Standing Ovations. Ob sich „Evita“ als ebenso großer Publikumsliebling herausstellt, wie es sich mit „Sister Act“ im Vorjahr verhielt? Zur Premiere schwelgt das Publikum eher in der Vergangenheit – wie auch der Abend selbst.


Musikalische Leitung: Sebastiaan van Yperen • Choreografie: Ricardo Fernando • Bühne: Karel Spanhak • Kostüme: Nora Johanna Gromer • Licht: Ron Heinrich • Choreinstudierung: Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek • Mit: Katja Berg (Eva Perón), Hannes Staffler (Che), Alexander Franzen (Juan Perón), Gerhard Werlitz (Agustín Magaldi), Nina-Noëlle Ingiliz O (La Vida) • Ensemble: Marco Beck, Helena Sturm, Mitglieder Young Stage Augsburg e.V. • Ballett Augsburg • Opernchor des Staatstheaters Augsburg, Kinderchor Young Stage e.V. • Augsburger Philharmoniker

Aufmacherfoto: Jan-Pieter Fuhr

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