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Pferd frisst Hut

Klamauk-Kapriolen

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oRT
Komische Oper Berlin
von
Herbert Grönemeyer (Musik und Gesangstexte)
Thomas Meadowcroft (Arrangements)
Regie
Herbert Fritsch
Uraufführung
2023

Herbert Grönemeyer und Herbert Fritsch peppen ein uraltes Boulevardstück auf

Rastlos fliegen die Fetzen, ein wilder Cocktail aus überhitzten Episoden und gefühlsseligen Amouren, schlüpfrigen Verwicklungen und irrlichternden Verwirrungen sorgt für Trubel in Endlosschleife: ein Labyrinth aus Missverständnissen, Slapstick und Akrobatik, in dem sich permanent Türen öffnen oder Purzelbäume zu bestaunen sind. Und das alles, weil ein Vierbeiner ausgerechnet die Kopfbedeckung jener Dame mampft, die sich beim Techtelmechtel mit ihrem außerehelichen Galan im Wald vergnügt und nun Angst vor ihrem rasend eifersüchtigen Gemahl hat.

Eugène Labiche schrieb über diese siedenden Aggregatzustände 1851 ein dralles Boulevardstück unter dem Titel „Ein Florentinerhut“, das Sabrina Zwach 2023 für das Theater Basel zu einer musikalischen Komödie mit dem markanten Titel „Pferd frisst Hut“ aufpeppte. Pop-Ikone Herbert Grönemeyer komponierte dazu eine gefällige Musik, Regie-Star Herbert Fritsch bringt die Handlung auf Sprinttempo – aktuell in der Komischen Oper Berlin als Ko-Produzent der Uraufführung.

Eigentlich wollte Privatier Fadinard einfach nur heiraten, doch dann verzapft sein Reittier den heiklen Schlamassel. Samt staunender Hochzeitsgesellschaft im Schlepptau versucht der Bräutigam das diffizile Problem zu lösen und Ersatz für den Hut der in flagranti ertappten Madame zu ergattern. Der Rest dieser Geschichte lässt sich getrost und gänzlich vergessen, weil es praktisch nur um Situationskomik geht, deren jeweiliger Anlass völlig egal scheint – Hauptsache, es knallt gehörig zwischen den schrägen Wänden. Das gelingt Herbert Fritsch mit virtuoser Leichtigkeit. Ununterbrochen toben die Akteure durch den Raum und beleben die zahllosen Szenen mit artistischen Einlagen, Wortverdrehungen, erotischen Anspielungen, absichtlichen Versprechern, unzähligen Wiederholungen und clownesken Momenten, bis hin zu einer Badewannen-Einlage mit zwei Herren und einem tosenden Finale, wo nochmals sämtliche Funken schlagen. Der Regisseur hat dafür einen bunten, perspektivisch verzogenen Rahmen mit etlichen Türen geschaffen und seine eigene Choreografie kreiert, die das gesamte Bewegungsvokabular der Mitwirkenden weidlich abschöpft.

Herbert Grönemeyer komponierte 16 Songs und einige instrumentale Intermezzi, die manchmal in dem atemlosen Tohuwabohu kleine Ruhe-Inseln bilden und dann wieder den Spannungsbogen auf die Spitze treiben. Das Ganze erweist sich als ziemlich gelungene Mischung aus Walzer, Filmsound in bester Hollywood-Manier, jazzigen Anklängen, Ballade, zartem Schmelz und gelegentlich bombastischer Opulenz. Daraus resultieren sorgfältig dosierte Zutaten für eine Pferde-Operette mit flitternder Musical-Glasur und leichtem Anarcho-Kick, von Dirk Kaftan und dem von ihm souverän geleiteten Orchester der Komischen Oper perfekt abgemischt und zur formidablen Entfaltung gebracht.  

Auf der Bühne herrscht pures Entertainment mit wenig doppeltem Boden für das sprühende Witzgewitter. Zotig und krachledern geht es zu, viel Klamotte schlürft das Ensemble aus der Vorlage in seinen knalligen, von Geraldine Arnold entworfenen Kostümen, in babylonischen Perückenmonstren und satt überdeckt mit dicker Schminke. Sie grimassieren sich zirzensisch durch den Plot, voran Christopher Nell als hinreißender Fadinard: eine schillernde Lichtgestalt, der alles richtig macht in diesem musikalisch-theatralischen Komik-Getöse und jede Klamauk-Kapriole mit tollkühnen Körperverrenkungen auskostet. Hubert Wild als badisch babbelnder Schwiegervater, Florian Anderer als akrobatischer Tavernier, Sarah Baueretts bis in die Zehenspitzen aphrodisierte Clara oder Paulina Plucinski als strunzdoofe, alkoholisierte Hélène und auch die übrigen Beteiligten halten Herbert Fritsch den Steigbügel für das organisierte Chaos. „Pferd frisst Hut“ ist gereihter Nonsens, süffig und frivol und geradezu ekstatisch rasant – insgesamt allerdings eher Currywurst als Champagner, mehr Komödienstadl als Loriot und vor allem mit drei Stunden definitiv zu lang.


Musikalische Leitung: Dirk Kaftan • Regie, Choreografie und Bühne: Herbert Fritsch • Kostüme: Geraldine Arnold • Licht: Cornelius Hunziker • Chöre: Jean-Christophe Charron • Mit: Christopher Nell (Fadinard), Hubert Wild (Nonancourt), Florian Anderer (Emile Tavernier/Baronin von Champigny), Gottfried Breitfuss (Vezinet/Baronin von Champigny) · Werner Eng (Tardiveau), Matthias Buss (Beauperthuis), Sarah Bauerett (Clara), Owen Peter Read (Bobin), Paulina Plucinski (Hélène), Helena Bohndorf (Anais), Kaspar Simonischek (Felix), Daniel Petrenko (Maurice), Pia Dembinski (Virginie) • Tanz-Ensemble • Vocalconsort Berlin • Orchester der Komischen Oper Berlin

Aufmacherfoto: Jan Windszus Photography

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