Mit „Cabaret“ eröffnet das Bielefelder Theater erfolgreich die Saison 2024/25
Man ahnt schon, dass es nicht glücklich endet, wenn der Conferencier des Kit Kat Clubs das Publikum begrüßt. Christina Huckle verkörpert die androgyne Figur souverän. Schwarz gekleidet mit langem Frack, weißem Haar und leuchtend rotem Mund signalisiert sie: der Abend nimmt kein gutes Ende. Christina Huckle verfügt über eine enorm beeindruckende Stimme, die sie in ihrer Tiefe auslotet und so einen Conferencier gibt, der schon alles gesehen hat. Zumindest im Kit Kat Club. Dessen munteres Treiben zeigen die Kit Kat People Max William Best, Amber-Chiara Eul, Luisa Ofelia Montero de la Rosa, Maria Pambori und Nathalie Nongploi Plüss als Tanz- und Turntruppe sehr gelenkig. Doch das Verruchte halbseidener Unterwelten will sich nicht einstellen. Lara Hofmann als Sally Bowles taucht quasi als Orpheus aus dem Orkus auf. Sie spielt die Hauptrolle mit jeder Faser ihres bewundernswerten Könnens. Ihr Gegenüber Clifford Bradshaw (Nikolaj Alexander Brucker) hat es anfangs schwer. In der Bahnszene, in der Ernst Ludwig (Georg Böhm) ihm vor der Passkontrolle eine Aktentasche mit belastendem Material unterschiebt, sitzt er hilflos auf dem Holzsitz, nicht ahnend, was ihm gerade passiert. Nach der folgenden Aufklärung wirkt er immer noch so, als sei er in Trance.
Diese Szene leidet, wie so viele andere, an einem zu großen Raum, den sich Regisseur und Noch-Hausherr Michael Heicks bauen ließ. Die Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter haben ein ziemlich opulentes Bühnenbild erstellt mit drei untereinander gestellten, verschiebbaren, beleuchteten Rahmen, gebaut für die Cabaret-Elemente. Wird dieses Bild nicht benötigt, zeigt sich die große Rückwand, vor der die Szenen im Haus der Zimmervermieterin Fräulein Schneider spielen. Diesen Momenten geht genau die Intimität flöten, die sie dringend brauchen. Wenn sich Fräulein Schneider (Carmen Priego) zum Beispiel mit Fräulein Kost (Leona Grundig) wegen der noch nicht bezahlten Miete streitet und dem Lärm, dem die käufliche Dame mit „ihre“ Matrosen veranstaltet, dann steht die Vermieterin in der Bühnenmitte und ihre Konfliktpartnerin am linken Bühnenrand. Folglich wird die Lautstärke des Streits übertrieben. Genauso ergeht es Sally Bowles und Cliff, wenn sie von einer gemeinsamen Zukunft träumen oder sich verbal fetzen. Das Zusammenrücken eines Sessels und eines Bettes erzeugt noch keine Nähe. Dementsprechend sind die Dialoge nur Wortwechsel. Lediglich die Szene, in der Sally und Cliff das Ende ihrer Beziehung konstatieren und jeder noch mal seine Vision vom Zusammenleben offenbart, lässt sich ahnen, was bei ordentlicher Dialogregie hätte herauskommen können.
Ganz wunderbar dagegen die Verlobungsfeier von Herrn Schultz (Lorin Wey) und Fräulein Schneider. Am Anfang ist die Gesellschaft erfreut und fröhlich, dass sich die beiden endlich gefunden haben, so dass alle mit Geschenken ankommen und gratulieren. Der jüdische Gemüsehändler Schultz ist derart glücklich, dass er in der Choreografie: Yara Hassan anfängt zu tanzen. Mit dieser Begeisterung zieht er die gesamte Feiergesellschaft in Bann. Alle bewegen sich mit ihm, jubeln, freuen sich. Nur der Nazi Ernst Ludwig, mittlerweile trägt er das Hakenkreuz auf dem Arm, steht versteinert in der jubelnden Menge. Er zerstört Jubel und Feierlaune abrupt. Betretenes Schweigen folgt. Fräulein Kost, inzwischen mehr dem Nazi zugewandt, stimmt das kämpferisch martialische Lied „Der morgige Tag ist mein“ an, in das nach und nach alle einfallen. Damit ist die Partygesellschaft vollends gespalten – ein Sinnbild für zerrüttete Gesellschaft Anfang der 30er Jahre in Deutschland.
William Ward Murta fungiert als musikalischer Leiter. Der Zusammenspiel Orchester – Bühne funktioniert bei ihm hervorragend. Es spielen Mitglieder der Bielefelder Philharmoniker, Hagen Enke hat den Bielefelder Opernchor mustergültig eingestimmt. Michael Heicks führt das Ensemble mit gutem Gespür. Das Publikum spendet reichlich Beifall. Zu Recht.
Musikalische Leitung: William Ward Murta · Choreografie: Yara Hassan · Ausstattung: Timo Dentler, Okarina Peter · Darsteller: Lara Hofmann (Sally Bowles), Christina Huckle (Conferencier), Nikolaj Alexander Brucker (Clifford), Carmen Priego (Fräulein Schneider), Lorin Wey (Herr Schultz), Leona Grundig (Fräulein Kost), Georg Böhm (Ernst Ludwig)
Aufmacherfoto: Joseph Ruben