„Hairspray“ wird zum Riesenerfolg
Sie ist übergewichtig, hat eine unmögliche Frisur und nervt mit ihrer naiven Begeisterung für die Corny-Collins-Fernsehshow. Ihr Traum: dort selbst aufzutreten und nebenbei den begehrten Teenieschwarm Link zu erobern. Völlig unrealistisch, wie alle meinen – doch die Jugendliche behauptet sich auf ihrem mutigen, mit dicken Steinen gepflasterten Weg, gewinnt einen Tanzwettbewerb und kämpft nebenbei gleich noch gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. „Die Rassentrennung soll aufgehoben werden“, fordert sie.
Tracy Turnblad ist die Hauptfigur in „Hairspray“, dem Kultfilm von John Waters aus dem Jahr 1988, der nach einem ebenso erfolgreichen Remake mit John Travolta auch als Vorlage für das 2002 in New York uraufgeführte gleichnamige Musical mit der Musik von Marc Shaiman diente. Es geht um relevante Themen in dieser in Baltimore angesiedelten Komödie: Mutter-Tochter-Beziehungen („Mama, ich bin nicht mehr klein“), Coming of Age, Außenseitertum und rassistische Diskriminierung. Doch gepackt ist das alles in federleichte Form, versehen mit märchenhaften Zügen und allumfassendem Happy End. Solch positive Utopie tut gut in so konfliktreichen Zeiten wie den heutigen. Und wenn es nur im Theater ist, wie aktuell an der Oper Bonn, wo „Hairspray“ in deutscher Sprache auf den Spielplan gesetzt und dafür eigens ein Musical-Ensemble gecastet wurde.
Beste Laune ist Trumpf in Erik Petersens vor Ideen nur so sprühender, mit sozialkritischen Akzenten klug verwobener Inszenierung, für die Dirk Hofacker eine Art Shopping Mall entworfen hat. In einer Lounge im Hintergrund spielt die Band, angeheizt von Jürgen Grimm, die vom „Rhythm and Blues“ geprägte Musik. „Willkommen in den Sixties“, ein Nummerntitel, spiegelt sich in den stilgerechten Kostümen und Frisuren wider, auch in den Cover-Auftritten der „Supremes“. Zu Beginn stürmt Antonia Tröstl als Tracy herein und schmettert die Baltimore-Hymne, dabei scheinbar die ganze Welt umarmend. Sie ist in diese Rolle geschlüpft, nein mehr, sie hat sie sich komplett angeeignet – wohlgemerkt ihre erste Hauptpartie in einem großen Haus nach dem Abschluss der Musicalausbildung im Juni 2024. Enrico De Pieri spielt Mutter Edna. Bei ihm wirkt nichts übertrieben, er stattet die Travestie-Figur mit so feinem Humor und Wärme aus, dass nicht nur Gatte Wilbur (Mark Weigel) verzaubert ist. Wie beide in einem Duett von ihrer langjährigen Ehe und den gegenseitigen Vorzügen schwärmen, ist herzerwärmend.
Wunderbar stimmig besetzt sind all die anderen Typen: Freundin Penny (entzückend verhuscht: Friederike Zeidler) und ihre gestrenge Mama (die vielseitige Susanne Blattert); Produzentin Velma (herrlich biestig: Kerstin Ibald) mit der von ihr protegierten Tochter Amber (entsprechend zickig: Kara Kemeny) und Showmann Corny (mit glattem Moderatorengehabe: Mathias Schlung); Tracys Idol Link (erst blasiert, dann immer charakterfester: Fin Holzwart) und Pennys schwarzer Freund Seaweed (mitreißend dynamisch: Maickel Leijenhorst), Sohn von Motormouth Maybelle (Yannick-Muriel Noah). Die Sopranistin, sonst gefeiert als Tosca oder Verdi-Heroine, entpuppt sich als veritable Musicaldarstellerin. Ihre intensiv und emotional vorgetragene Ballade „Ich weiß, wo ich herkomme“, in der sie an Ressentiments und Ausgrenzung erinnert, ist ein Höhepunkt des Abends.
Der lebt nicht zuletzt von den energiegeladenen Tanzszenen in der Choreografie von Sabine Arthold, in der die gesamte Crew, Jugendchor und Statisterie miteinbegriffen, alles geben. Dem Premierenjubel nach zu urteilen, sollte sich die Produktion zu einem Publikumsrenner entwickeln.
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm • Regie: Erik Petersen • Ausstattung: Dirk Hofacker • Choreografie: Sabine Arthold • Einstudierung Kinder- und Jugendchor: Ekaterina Klewitz • Mit: Antonia Tröstl (Tracy Turnblad), Enrico De Pieri (Edna Turnblad), Mark Weigel (Wilbur Turnblad), Yannick Muriel-Noah (Motormouth Maybelle), Maickel Leijenhorst (Seaweed J. Stubbs), Tara Friese (Inez), Mathias Schlung (Corny Collins/Mister Pinky/Wärter/Nachrichtensprecher), Fin Holzwart (Link Larkin), Kerstin Ibald (Velma von Tussle), Kara Kemeny (Amber von Tussle), Friederike Zeidler (Penny Pingleton), Susanne Blattert (Prudy Pingleton/Gefängniswärterin/Sportlehrerin) u.a. • Jugendchor des Theaters Bonn
Aufmacherfoto: Bettina Stöß