Kleine Bühne, große Show für „La Cage aux Folles“
Der Rezensent erinnert sich noch genau an jenen Tag, als er 1985 in Berlin die deutsche Erstaufführung von „La Cage aux Folles“ sah. Die Vorstellung im Theater des Westens begann mit ein paar Minuten Verspätung, weil man für den plötzlich erkrankten Schlagzeuger einen Kollegen der WDR-Bigband aus Köln hatte einfliegen lassen. Dann öffnete sich der Vorhang – und man erlebte einen Quantensprung in der deutschen Musical-Landschaft. Zum ersten Mal konnte eine Inszenierung mit der Original-Produktion vom Broadway mithalten. Auch kleine Bühnen erkannten das Kultpotenzial des Musicals und gewannen durch innovative Inszenierungen von „Ein Käfig voller Narren“, wie die von Ulrich Wiggers am Aachener Grenzlandtheater, dem Broadway neue Reize ab.
Nun hat sich Frank Oppermann, rühriger Intendant und selbst bekennender Musicalfan und -darsteller, an das auf der Boulevard-Komödie (1973) von Jean Poiret und deren Verfilmung durch Édouard Molinaro (1978) beruhende Musical von Jerry Herman (Musik, Gesangstexte) und Harvey Fierstein (Buch) gewagt. Film wie Musical gelten in ihrem jeweiligen Genre als erste weltweit erfolgreiche Werke über die queere Gemeinschaft.
Nun, Deutschlands queere Hochburg Köln ist nur 30 Straßenbahn-Minuten entfernt. Wenn sich herumgesprochen hat, dass einem im Kleinen Theater im wahrsten Sinne des Wortes „die Augen geöffnet werden“ für eine lange im Verborgenen existierende Welt, dann müssten eigentlich alle Abend-Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel zusammenbrechen. Denn wenn uns Georges ins „La Cage aux Folles“ entführt und die Cagelle-Tänzer*innen (wunderbar verrucht: Marie-Theres Jestädt, Lorena Krüger, Pascal Schürken, Jonas Heinle, James Michael Atkins) das Opening singen („… und unter dem Rock, krieg keinen Schock, sieht man, wir sind, was wir sind …“), fühlt man sich gleich aufgehoben in einer von Harvey Fierstein mit liebenswert-exzentrischen Charakteren bevölkerten „anderen“ Welt, der Jerry Herman mit Ohrwurm-Melodien seine Reverenz erweist.
Dabei ist mitnichten alles eitel Sonnenschein im beliebten Riviera-Nachtclub: Der mit Georges liierte Travestie-Star des Etablissements, Albin/Zaza, fühlt sich vernachlässigt („Früher hast Du es geliebt, mir das Fußkettchen um meinen Knöchel zu legen!“). Georges’ Butler Jacob (herrlich frivol: Anthony Curtis Kirby) möchte lieber seine Zofe sein und mit den Cagelles auf der Bühne stehen. Und Jean-Michel (Sebastian Schlemmer), Georges’ Seitensprung mit einem Showgirl, offenbart seinem Vater, dass er Anne (Lorena Krüger), die Tochter des homophoben Politikers Dindon (Josef Tratnik), heiraten will. Weil Jean-Michel seine Mutter und Dindon samt Frau (Heike Schmidt) zwecks Familienzusammenführung einladen will, soll Albin für eine Nacht ins Hotel ziehen. Aber da haben sie alle die Rechnung ohne diesen gemacht …
Das Musical steht und fällt natürlich mit den beiden Hauptprotagonisten Dirk Wittun (Georges) und Frank Oppermann (Albin/Zaza). Ob verliebt („Ich bin jung und verliebt“) oder verletzt („Ich leg ein bisschen mehr Mascara auf …“), schauspielerisch und gesanglich harmonieren die beiden wunderbar: Wittun ist ganz Grandseigneur, Oppermann berührt mit einer Mischung aus knuffeliger Tunte „light“ und selbstbewusster Cindy aus Marzahn. Und so wird Zazas Showstopper „Ich bin, was ich bin“, den Dutzende Stars zum Welthit gemacht haben, auch zum Höhepunkt des Abends.
Flankiert werden die beiden von einem von Regisseur Bernard Niemeyer präzise geführten, spielfreudigen Ensemble und den die kleine Bühne geradezu sprengenden, einfallsreichen Choreografien von Sylvia Bartusek und Lorena Krüger. Und wenn Theo Palms fünfköpfige Band zum Finale stimmungsvoll „Die schönste Zeit ist heut“ anstimmt, dann vereinen sich Cast und Publikum zu einer den Abend, das Leben, die Liebe und die Toleranz feiernden Gemeinschaft.
Musikalische Leitung: Theo Palm • Choreografie: Sylvia Bartusek und Lorena Krüger • Bühne: Thomas Pfau • Kostüme: Mara Schönborn • Licht: TD/Sebastian Pingel • Ton: AKG Eventtechnik • Mit: Frank Oppermann (Albin/Zaza), Dirk Wittun (Georges), Lorena Krüger (Anne), Sebastian Schlemmer (Jean-Michel), Anthony Curtis Kirby (Jacob), Heike Schmidt (Mme. Dindon), Josef Tratnik (M. Dindon), Mariann Smith (Jaqueline), Marie-Theres Jestädt (Hanna), Pascal Schürken (Chantal), Jonas Heinle (Phaedra), James Michael Atkins (Francis) u.a.
Aufmacherfoto: Patric Prager – die Prager Botschaft