Andrew Lloyd Webbers „Tell Me On A Sunday“ ist immer noch eine Entdeckung wert
Seitdem der Schauspieler und Regisseur Frank Offermann 2019 das Kleine Theater Bad Godesberg als Intendant übernahm, hat er es mit seiner Liebe zum Musical zu einer Art deutschem „Off Broadway“-Bühne entwickelt. Nicht nur die Klassiker des amerikanischen Musiktheaters wie „The Fantasticks“ und „Cabaret“ stehen hier auf dem Spielplan, Oppermann gibt auch hierzulande noch nie aufgeführten oder selten gespielten Stücken wie „Tell Me On A Sunday“ eine verdiente Chance.
Nach dem Mega-Hit „Evita“ (1978) hatten Webber und sein Autor Tim Rice die Idee, einen Liederzyklus über eine junge Frau zu schreiben, die ihre Liebesprobleme besingt. Doch die beiden überwarfen sich und Webber holte Don Black mit ins Boot, der die Liedtexte zu mehreren James Bond-Titelmelodien geschrieben hatte. Black macht aus der jungen Frau die Engländerin Emma, die in den USA Probleme mit der neuen Kultur, vor allem aber mit der Mentalität der amerikanischen Männer bekommt. Webber liefert dazu eingängige Kompositionen im Pop- und Balladenstil der 1980er Jahre und einige Rezitative, die seine Leidenschaft für die Oper bekunden. Ursprünglich als Konzeptalbum und TV-Show für die Sängerin Marti Webb konzipiert und umgesetzt, arbeiteten Webber und Black die gleichnamige Vorlage nach dem Verkaufs- und Zuschauererfolg 1980 zu einem Bühnenstück um, koppelten es mit einem tänzerischen Einakter und brachten das Doppel unter dem Titel „Song And Dance“ 1982 am Westend heraus: ein Kassenschlager mit fast zweijähriger Laufzeit. Die Dänin Gitte Haenning – damals beliebter Schlagerstar – verhalf der deutschen LP-Version zu einem überraschenden Erfolg. Dennoch sollte es noch bis 2007 dauern, bis das Musical als Solostück hierzulande seine Bühnen-Premiere feierte.
Nun hat Frank Oppermann das zwischen all den Mega-Hits Webbers immer unterschätzte One-Women-Musical ausgegraben und in Personalunion als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner liebevoll inszeniert. Seine Emma macht sich sinnigerweise von Bad Godesberg auf in weite Welt. Eine Freiheitsstatue auf der Truhe ihres New Yorker Apartments symbolisiert die Sehnsucht, im gelobten Land endlich das erhoffte Glück zu finden. Der lebensgroße Pappaufsteller eines attraktiven Mannes erzählt von all ihren seelischen Verwundungen. Gleichzeitig ist der skurrile Papierkamerad auch ein Verweis auf jene liebestolle Amerikanerin, die 2014 in Las Vegas einen Papp-Aufsteller ihres Lieblingsschauspielers Robert Pattinson heiratete.
Nach ihrem Gast-Auftritt in der „Jewel Box Musical Theatre“-Produktion (in deutscher Erstaufführung als „Starting Here, Starting Now“) ist die Niederländerin Merel Zeeman zurück am Kleinen Theater. Gleich mit dem ausdrucksstarken Titelsong, einer von Webbers schönsten Balladen, lässt sie das Publikum teilhaben an ihrem, von ständigen Niederlagen gekennzeichneten Liebesleben: „Und wenn du mich verlassen willst, schreib mir keinen Brief. Führ‘ mich in den Park und dort sag es mir – bleib noch bis zum Sonntag hier!“ Merel Zeeman, die nach ihrem Musicalstudium am Konservatorium in Alkmaar seit Anfang der 2000er Jahre zum Ensemble großformatiger Musicals wie „Les Miserables“, „Elisabeth“ oder „Sound of Music“ im deutschsprachigen Raum, Belgien und den Niederlanden gehörte, meistert gekonnt die von Webber für eine Sängerin mit großem Tonumfang geschriebenen Songs. Nur in den Höhen stößt sie manchmal an ihre Grenzen. Da ist dann aber die fünfköpfige Live-Band unter ihrem musikalischen Leiter Theo Palm prompt zur Stelle. Die Combo passt sich perfekt auf den Stimmumfang der Solointerpretin ein. Auch die Abmischung stimmt, so dass jederzeit Textverständlichkeit herrscht. Was bei einem Musical, dessen Geschichte komplett über die Songs erzählt wird, natürlich unverzichtbar, jedoch noch längst keine Selbstverständlichkeit an deutschen Bühnen ist. So beschert Merel Zeeman mit Webbers Ohrwürmern und ihrem charismatischen, intensiven Spiel den Zuschauern einen Musicalabend der ganz ungewohnten Art.
Übersetzung: Michael Kunze, Regie und Ausstattung: Frank Oppermann, Musikalische Leitung: Theo Palm, Darstellerin: Merel Zeemann, Premiere am 02. April 2024, Uraufführung im Londoner Palace Theatre als Zweiteiler „Song and Dance“.
Aufmacherfoto: Patric Prager