
Caspar David Friedrich trifft Silbermond
Auf dem Felsen steht ein Mann mit Stock. Er schaut in die Weite. Unter ihm verbergen milchige Schleier den Blick ins Tal, am Horizont ragen Bergkegel heraus. Mehr erfährt der Betrachter nicht. „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ heißt das Bild. Berühmt das Motiv, gefeiert der Maler, kürzlich gedachte die Nachwelt seines 250. Geburtstags. In dem Werk manifestiert sich deutsche Romantik, Caspar David Friedrich hat die Atmosphäre 1818 genial eingefangen. Zahlreiche Ausstellungen würdigten den Künstler zu seinem Jubiläum, nun platziert ihn ein Musical auf dem Denkmal-Sockel und verwendet den Titel seiner prominenten Kreation. Kann das überhaupt funktionieren?
Die Comödie Dresden liefert den Beweis. Autor und Regisseur Christian Kühn lenkt das Sujet auf eine ausgeklügelte Spurensuche, die bis in die Gegenwart reicht, musikalisch flankiert vom pop-rockigen Sound der Bautzener Kultband Silbermond. Das passt zusammen und entlockt dem Publikum vor dem ruinösen Portal des Elbschlosses Übigau klare Zustimmung.
Autor Kühn spannt den Handlungsbogen breit. Der junge Caspar David wird von seinem Bruder Christoffer vor dem Ertrinken gerettet, der Bruder stirbt dabei. Ein bedrückendes Ereignis, das Caspar prägt und zugleich inspiriert. Das Musical begleitet den Maler: eine toxische Mischung aus Gestaltungswillen und schwerer Depression. Die Natur spielt eine zentrale Rolle, aktuell ein mahnendes Fanal für den Erhalt. Unter diesem Aspekt entwirft der Autor eine zweite Zeitebene, springt ins Jetzt und zeigt zwei Klimakämpfer, die sich mit einer Pflegerin verbandeln. Sie klauen vermeintlich das Originalbild aus der Hamburger Kunsthalle, wollen es in den Kontext einer gefährdeten Umwelt stellen. Edgar, der eine, lebensbedrohlich erkrankte Aktivist, katapultiert sich in die Vergangenheit, wo er von Caspar als verschollener Bruder identifiziert wird. Am Ende zerplatzt die Illusion. Mit Ernst Bloch im Hinterkopf keimt aber leise das Prinzip Hoffnung: Vielleicht bleibt die totale Zerstörung aus, weil Umkehr gelingt.
Verblüffend authentisch nehmen die Silbermond-Songs aus dem 2015 veröffentlichten Album „Leichtes Gepäck“ den Spirit auf, fügen sich organisch ins Geschehen, begleiten die Stationen bevorzugt im Balladenton, ohne bleierne Düsternis auszulegen. Stephan Ohm führt souverän auf den Klangpfad der heimischen Formation, leitet musikalisch das gut aufgelegte Ensemble. Einige Beiträge schleichen sich besonders intensiv ins Ohr: „Langsam“, „Das Leichteste der Welt“, sehr anrührend „Allzu menschlich“ und das von einem früheren Album stammende „Irgendwas bleibt“.
Vor das Portal hat Ausstatterin Nina Aufderheide karge Elemente gebaut, die Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ assoziieren, zugleich raumwandelnde Schauplätze suggerieren und Zeitsprünge nachvollziehbar machen. Ihre Kostüme unterstreichen das Nebeneinander von Gestern und Heute. Als Regisseur bewegt Christian Kühn das Ensemble konzentriert durch die Szenen, schafft beklemmende und heitere Momente vom großen Tableau bis zum Zwiegespräch. Choreograf Thomas Heep nutzt geschickt manche Gelegenheit für tänzerische Garnierung.
Die Mitwirkenden inhalieren den Stoff tief, fühlen sich subtil in ihre Figuren ein und verleihen ihnen Vitalität. Sebastian Lohse ist ein aufgebrezelt arroganter Goethe, Kathi Damerow die sächselnd plappernde Schwiegermutter, Florentine Beyer die aufopfernde Ehefrau Caroline, Felix Heller der quirlig eitle Carus, Edward R. Serban ein lässig unbeholfener Lasse. Im Mittelpunkt stehen Timo Stacey als drahtziehender Edgar, die hyperaktive Betriebsnudel Sabine (Lucille-Mareen Mayr) sowie Daniel Tille als emotional wankender, verkannter Genius in der Titelrolle.
„Der Wanderer über dem Nebelmeer“ ist ein ungewöhnliches, dramaturgisch imposant aufbereitetes Musical, das begeistert und erstmals Caspar David Friedrich in den Fokus des unterhaltenden Theaters hievt: ein Coup, zur Nachahmung empfohlen.
Musikalische Leitung: Stephan Ohm • Choreografie: Thomas Heep • Ausstattung: Nina Aufderheide • Mit: Daniel Tille (Caspar David Friedrich), Florentine Beyer (Caroline Friedrich), Kathi Damerow (Friederika Bommer), Felix Heller (Carl Gustav Carus) Sebastian Lohse (Johann Wolfgang von Goethe), Timo Stacey (Edgar), Edward R. Serban (Lasse), Lucille-Mareen Mayr (Sabine) u.a.
Aufmacherfoto: Robert Jentzsch