Der Cole-Porter-Klassiker „Silk Stockings“ mit Experimenten
„Silk Stockings“ wurde 1955 am Broadway uraufgeführt und war mit 478 Vorstellungen ein durchaus beachtlicher Erfolg – dennoch blieb das letzte Bühnenmusical von Cole Porter irgendwie ein „One-Off“. Bis heute folgte weder ein Broadway-Revival noch der Sprung zum West End, im deutschsprachigen Raum gab es nach der Linzer Premiere 1974 nur vereinzelte Aufführungen.
Dabei bringt diese Show viel mit: die durchaus bekannte Filmvorlage „Ninotschka“ von 1939 mit Greta Garbo, eine werkgetreue Filmversion des Musicals von 1957 sowie einen soliden Porter-Score mit einigen Comedy-Songs und mindestens zwei eingehenden Balladen („Paris Loves Lovers“ und „All of You“). Dazu kann das Stück an die Fähigkeiten der Hauptdarsteller angepasst werden – entweder als Gesangsmusical (wie 1955 mit Don Ameche und Hildegard Knef) oder als tanzlastige Version (im Film mit Fred Astaire und Cyd Charisse sowie vor Jahren in Gelsenkirchen mit Gaines Hall in der Hauptrolle).
Die Story? In den 50er Jahren im Kalten Krieg durchaus aktuell, aber auch heute nicht ohne Relevanz: Komponist Boroff kommt der Sowjetunion abhanden, weil er zu lange in Paris an einem Filmscore arbeitet. Drei ihn überwachende Agenten erliegen ebenfalls dem Charme der Metropole, sodass Moskau stärkere Geschütze auffahren muss: Die absolut linientreue Agentin Nina Yaschenko begibt sich nach Paris, um dort nach dem Rechten zu sehen. Das verspricht nichts Gutes für den aalglatten amerikanischen Agenten Steve Canfield, der Boroff noch für sein Filmmusical braucht. Können die USA und die Sowjetunion in Form dieser beiden Gegenpole zusammenarbeiten – oder entsteht gar eine persönliche Beziehung?
Regisseur Max Hopp, Dramaturgin Christin Hagemann und Koen Schoots als musikalischer Leiter legen die Gründe ihrer Einrichtung im Programmheft minutiös dar, trotzdem stehen neben einigen guten Entscheidungen auch fragwürdige. „Silk Stockings“ in einem Filmstudio (wo eben Canfields Musical gedreht wird) anzusiedeln, ergibt durchaus Sinn und sorgt auch für einige wunderbare Momente, etwa wenn eine Showtreppe für eine Nummer ausgerollt werden kann. Dem gegenüber stehen aber auch Szenen, in denen die Bühne sehr leer aussieht – ein Sofa allein für „All of You“ wirkt doch ziemlich verloren.
Porters Songs werden auf Englisch und lückenlos dargeboten, darunter auch die oft gestrichenen Nummern „As on Through the Seasons We Sail“ und „Without Love“. Bei Letzterem sorgt ein smarter Kunstgriff – „Woman“ wurde mit „Human“ ersetzt – dafür, dass der Songtext auch heute noch zu akzeptieren ist. Dazu kommen gleich sieben zusätzliche eingebaute Porter-Hits, von denen nur „I Love Paris“ irgendwie zur Handlung passt. Vor allem das Ende – auch im Original ein Problem – wird zum reinen Songkatalog, die Auflösung der Handlung kommt dagegen völlig abrupt und etwas nebulös (eine Traumszene mit Canfield in Moskau) daher.
Auch die Besetzung hat Licht und Schatten zu bieten. Michael Rotschopf gibt Canfield als pragmatischen Strippenzieher. Dass seine Beziehung zu Nina nicht gerade als große Romanze daherkommt, liegt eher an Natalia Mateo. Sie macht im Laufe des Abends so überhaupt keine Wandlung durch und wirkt am Ende genauso rigide wie zu Beginn. Zugegeben, eine Entwicklung wie etwa bei Eliza Doolittle gibt die Show nicht her – aber warum sich Canfield in sie verguckt, wird nie klar. Eine etablierte Musical-Performerin statt einer Jazz-Sängerin wäre doch eine bessere Besetzung gewesen.
Beide Hauptdarsteller warten mit (gerade noch) soliden Stimmen auf, für den richtigen Musical-Pep und vor allem Tanznummern (einige Ideen von Choreografin Martina Borroni sind durchaus sehenswert) wäre Nina Weiß als Parodie auf Schwimm-Star Esther Williams zuständig. Ihre Comedy-Nummer „Stereophonic Sound“ würde weit mehr Volumen vertragen, nicht nur hier überlagern die Grazer Philharmoniker die Stimmen etwas.
In Gelsenkirchen war „Silk Stockings“ vor Jahren als knallige Tanzshow ohne großen Hintergrund zu sehen, während Graz offenbar auf verborgene Tiefen in dieser klassischen Musical Comedy setzt. Ein hehrer Ansatz – mit Blick auf die Umsetzung und Publikumsreaktionen (einige Nummern gehen ohne Applaus zu Ende) aber durchaus diskutabel.
Musikalische Leitung: Koen Schoots • Choreografie: Martina Borroni • Ausstattung: Marie Caroline Rössle • Licht: Sebastian Alphons • Tontechnik: Zhanna Komp • Chor: Georgi Mladenov • Mit: Natalia Mateo (Nina Yaschenko, genannt Ninotschka), Nina Weiß (Janice Dayton), Michael Rotschopf (Steve Canfield), Markus Murke (Iwanow), Falk Witzurke (Brankow), Christian Scherler (Bibinski), Michael Großschädl (Boroff), János Mischuretz (Markowitsch) u.a. • Gitarrist: Hanspeter Kapun • Mitglieder des Ballett Graz • Grazer Philharmoniker
Aufmacherfoto: Werner Kmetitsch