
Eine „Rock-Pop-Punk-Theater-Party“ reißt das Publikum von den Sitzen
Die sogenannten „Rock-Pop-Punk-Theater-Partys“ am Theater Hagen werden allmählich zur Tradition und helfen sicherlich, auch ein Publikum in das Stadttheater zu locken, das dort eher seltener anzutreffen ist. „Simply The Best“ ist nun der vierte Streich seit 2018 und als Titel eine Verbeugung vor Tina Turner. Die Reihe bietet eher Revuen, keine Jukebox-Musicals – ohne Handlung, dafür als thematischer Leitfaden vielmehr die feminine, oder vielmehr feministische Seite des Rock. Was bedeutet: Die Playlist der Werke stammt entweder von den großen weiblichen Ikonen des Genres oder aber die Lieder befassen sich mit ihnen. Insofern passt es, dass zwei der drei Hauptakteure weiblich sind. Die aktuelle Bandbreite spannt Originale von Nena über Taylor Swift bis Patti Smith als großen Bogen, abgedeckt wird ein Zeitraum zwischen 1968 und 2023. Wiederkehrendes Bühnenelement (Ausstattung: Lena Brexendorff) ist ein Jugendzimmer, deren Bewohnerin von den frühen Achtzigern an diverse Moderichtungen durchläuft.
Die meiste Zeit herrscht ordentlich Action auf der Bühne. Dort wirbeln fünf Tänzerinnen (davon drei zugleich Background-Sängerinnen), zwei Tänzer sowie vier Statisten um die drei Protagonisten herum. Eine auf den ersten Blick fast unspektakuläre Nummer bündelt die Aufmerksamkeit des Publikums geradezu magisch: gesungen von Siiri, so das nachnamenlose Pseudonym der jungen Sängerin. Sie ist erstmals bei einem dieser Abende dabei und löst Hannes Staffler ab. Man mag es kaum glauben, welch dunkle und rauchige Stimme die zarte Countryrock-Sängerin aus Werdohl im Sauerland hat. Doch bei Melissa Etheridges „Like the Way I do“ baut sie eine solche Kraft auf, dass dieser Song den größten Jubel des Abends erhält – zurecht. Träte sie damit bei der Castingshow „The Voice“ auf, hätte jeder Couch spätestens nach fünf Sekunden den Buzzer gedrückt.
„Simply The Best“ ist noch rockiger, noch lauter als seine Vorgänger – Besuchern mit empfindlichem Gehör sei das Mitführen von Ohrstöpseln geraten. Gemäßigte Töne sind rar. Wer mit diesen beiden Punkten ein Problem hat, sollte vom Besuch absehen. Wem die Auswahl der Lieder jedoch gefällt, den hebt es abermals aus den Sitzen, und das über drei Stunden (inklusive Pause) bis zur finalen Kissenschlacht mit Luftschlangen-Bomben.
Letztlich sind hier Vollprofis am Werk. Neben Siiri agieren Rock- und Musicalsänger Patrick Sühl und Pink-Tribute-Artistin Vanessa Henning als verlässliche und stimmgewaltige Publikumslieblinge mit Leidenschaft, die Band rund um den musikalischen Leiter Andres Reukauf ist superb. Allenfalls Holger Potockis Inszenierung ist nicht immer ganz nachvollziehbar. So zum Beispiel, wenn im ersten Teil zu einem Stück von Patti Smith deren legendäres Gespräch mit William S. Burroughs tänzerisch dargestellt wird. Diese Szene setzt sich nach der Pause fort, wenn Smith mit einer Teufelin und Jesus tanzt und Burroughs an den Marterpfahl stellt – und das zu Westernhagens „Sexy“. Dabei wird sich der Regisseur bestimmt etwas gedacht haben. Doch was, das erschließt sich maximal jenen, die sich mit dem Œuvre Smiths und Burroughs genauer auskennen – oder eben dem eines Marius Müller-Westernhagens.
Musikalische Leitung: Andres Reukauf • Regie: Holger Potocki • Choreografie: Noemi Emanuela Martone • Ausstattung: Lena Brexendorff • Licht und Video: Hans-Joachim Köster • Sounddesign: Michael Danielak • Mit: Vanessa Henning, Siiri, Patrick Sühl u.a. • Band (Keyboards, Gitarre, Flöte/Saxofon, Bass, Drums)
Aufmacherfoto: Matthias Jung