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FFW4975 | MUSICAL TODAY

Tod auf dem Thron – Das Klosical

Flirt mit dem „Bäh!“

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Puppentheater Halle
von
Mark Underwood und Tobias Künzel (Musik, Buch und Liedtexte)
Regie
Christoph Werner
Uraufführung
2025

Tobias Künzels nette „Klosical“-Späße um das stille Örtchen

„Sehr wild, sehr bunt, sehr durcheinander, sehr lustig“ charakterisierte Tobias Künzel 24 Stunden vor der Premiere in der „Tagesschau“ sein vor drei Monaten in London uraufgeführtes „Klosical“. Es erstaunt, dass Halle sich – angeschoben durch persönliche Kontakte – die deutsche Erstaufführung sicherte und nicht die Musikalische Komödie Leipzig, von wo aus „Die Prinzen“ mit vielen Songs von Künzel die Topcharts enterten. Der Musical-erfahrene Sänger und Komponist sitzt in der Aufführung selbst am Schlagzeug und ähnelt mit rosa Hemd und kleinkarierter Weste ein bisschen Elton John ohne Brillen-Ornamente. Zum Besuch der Vorstellungen empfiehlt sich Sichtschutz, weil die Sonne beim Untergang hinter dem Bühnenpodium im Hof des Salinemuseums vor der Pause gewaltig blendet. Auch der lange Applaus und die Dankworte danach geben der trotz internationalen Mediengeschmetters nicht ausverkauften Premiere Glanz.

Der Abortdeckel-Thron über dem rosa, in Angela Baumgarts Ausstattung nicht gerade vorbildlich aufgeräumtem Kinderzimmer schaut aus wie eine weiße Null. Die Mutter ist außer Haus, die Tochter – wahrscheinlich im Grundschulalter – hat Blähungen sowie einen in Hinblick Lebenswirklichkeit pfiffigen Verstand. Aber sie will nicht ins Bett. Also muss der Papa Geschichten erfinden. Vater und Tochter sind mit Gästen besetzt: Mit der in Mitteldeutschland sehr beliebten Henriette Fee Grützner und dem versierten Maximilian Nowka. Das Quartett ringsum kommt aus dem Ensemble des Puppentheaters Halle und zeigt in 100 Minuten, wie sehr sich die Anforderungsprofile für Puppenspiel und Musical gleichen. Simon Buchegger, Hannah Elischer, Lars Frank und Louise Nowitzki verschmelzen mit den Klappmaul- und Armstabpuppen in fast symbiotischer Eleganz und bieten damit dem Kollegenduo vom Personentheater ordentlich Paroli. Louise Nowitzkis Puppengesichter sind meisterhafte dreidimensionale Karikaturen. Im leicht angegilbten Rosa des Noch-Kleinmädchenzimmers gibt es viel Klamauk.

Der Nebentitel „Klosical“ verpflichtet und der Switch von Mark Underwoods englischem Untertitel „Loosical“ ist signifikant. Den ganzen Abend geht es auf sozialer, sexueller, analer und fäkaler Ebene um Druckabbau und Loslassen. Ein Wortspiel tröpfelt, spritzt und strullert aus dem vorherigen. Jede Figur verhaspelt sich mal und ver-zweideutelt fast alles in Lauterkeit und bester Absicht. Das ist wie Kindergeburtstag, bei dem einige Stunden ordinär geflachst werden darf und einem das pädagogische Reglement trotzdem im Nacken sitzt. Die Visionen des Mädchens, dem Papa die Geschichten erzählen soll, werden immer bedrohlicher. Die Puppen wachsen sich aus zur verzerrten Comedy. Als Lemuren des gegenwärtigen Lebens erscheinen eine Influencerin und der „Puderzucker“-abhängige Po-Klatscher Rob. Die Fantasien schwellen bis zum Auftritt von Queen Elizabeth II, von Margaret Thatcher als sprechendem Porträtbild, dann sogar Erich Honecker und Gandhi.

Hier spült man nichts hinunter, sondern wird allenfalls zur Strafe für irgendwas hinuntergespült. Christoph Werner, seit 30 Jahren Leiter des auf Erwachsenen-Stücke von Mozarts „Titus“ bis „Arsen und Spitzenhäubchen“ ausgerichteten Puppentheaters Halle, nimmt die Figuren im Kern ernst, auch wenn der Papa zu Elvis mutiert. Bis zur Pause trägt die Kette von Wortspielen und das Kokettieren mit dem Anstößigem. Später dünnt der Humor-Appeal etwas aus, weil da die Gleitcreme-Spur vom Unanständigen ins Unanfechtbare zur Masche wird.

Die versierte Musik wickelt das Publikum ein. Das ist wie bei den „Prinzen“: Die Band kennt alle Hitparaden-Schemata, steht aber mit trockenem Humor über den Inhalten und ködert damit ihre Fans. „Erwartet euch nicht zu viel“ singen alle im Opening und relativieren am Ende ihre poetische Leistung. Das sind schlicht und einfach „Spamalot“-Methoden, wo man die Schnulze erst abschätzig ankündigt und dann erst recht mit hingebungsvoller Emphase serviert. Insofern ist Künzels „Klosical“ ein supergutes Musical – wenn man sich nicht zu viel erwartet.


Ausstattung: Angela Baumgart • Puppenbau: Louise Nowitzki • Mit: Simon Buchegger, Hannah Elischer, Lars Frank, Henriette Fee Grützner, Maximilian Nowka, Louise Nowitzki • Band: Michal Kuhn, Tobias Künzel, Oliver Nelken, Gon von Zola

Aufmacherfoto: Falk Wenzel

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