„A Chorus Line“ zwischen Showbiz und intimen Momenten
Wie hart das Theatergeschäft ist und wie sehr man es trotzdem lieben kann, steht im Zentrum des Musicals „A Chorus Line“, das 1975 am Off-Broadway startete und bereits kurze Zeit später aufgrund des großen Erfolgs den Siegeszug am Broadway selbst antrat. Ausgezeichnet unter anderem mit neun Tony Awards, zählt es bis heute zu den globalen Publikumsmagneten. Am First Stage Theater, der hauseigenen Bühne der Stage School Hamburg, ist das Musical nun zum ersten Mal in einer neuen deutschen Übersetzung von Absolvent Robin Kulisch zu erleben, der eine frische, rhythmische Version der eingängigen Songs erschaffen hat.
Inhaltlich fällt das Stück recht simpel aus: Für ein Tanzensemble (den „Chorus“) finden Auditions statt, bei denen der strenge Choreograf Zach die Teilnehmenden auch bittet, eine persönliche Geschichte aus ihrer Biografie zu erzählen. Was folgt, ist – neben einigen amüsanten Anekdoten – ein Seelen-Striptease der Akteure, während Runde für Runde das Teilnehmerfeld kleiner wird. Basierend auf echten Auditions, geht es um schwierige Familienverhältnisse, Alkoholismus, versteckte Sexualität und darum, wie all diese Umstände das Leben der Tänzerinnen und Tänzer beeinflussen. Eine verflossene Beziehung zwischen Zach und Cassie, die ebenfalls für den Chorus vortanzt, mischt sich zudem ins Geschehen.
Die episodischen Erzählungen mit viel Raum für intime Momente, aber auch Witz und Situationskomik werden von Regisseur und Choreograf Till Nau gelungen in Szene gesetzt. Besonders die präzise choreografische Arbeit (gemeinsam mit Assistentin Saskia Kiselowa) mit Liebe fürs Detail – etwa, wenn absichtlich unpräzise getanzt werden muss – glückt bemerkenswert. Die Bewerber um den Chorus sind durch die Bank gut besetzt. Eine Besonderheit am First Stage Theater ist, dass sowohl Darsteller mit langjähriger Bühnenerfahrung, als auch frischgebackene Absolventen der Stage School zum Einsatz kommen, wobei letztere sich bei dieser Produktion auf jeden Fall mit den langjährigen Profis messen können.
Leider springt der Funke beim Hauptdarsteller des Zach, Benjamin Plautz, nicht wirklich über. Seine Darstellung wirkt in weiten Teilen wenig glaubhaft – statt authentisch streng und manchmal nachdenklich zerrissen, präsentiert er sich eher affektiert und unbeholfen. Die weibliche Hauptpartie der Cassie ist mit Natascha C. Hill deutlich besser besetzt, da man ihr die Hin- und Hergerissenheit und andere Gefühlsnuancen abnimmt. Leonhard Lechner gibt treffgenau einen ambitionierten Assistenten Larry. Schauspielerisch sind Judith Urban als aufmüpfige und anzüglich mit Zach flirtende Sheila, Maximilian Vogel als Bobby, der sich freudvoll in Veranda-Talk über Kunstrasen verliert, und Elisabeth Bengs als dauergutgelauntes „Blondchen“ Val hervorzuheben. Gesanglich glänzt Leonie Hammel als Maggie durch ihre kraftvolle und ausdruckstarke Stimme besonders. Den emotionalsten Moment des Abends liefert Lukas Poischbeg als Paul mit seinem eindrücklich gefühlvollen Coming-out: ein echter Gänsehautmoment.
In der eindrucksvollen Finalnummer mit energiegeladener Choreografie begeistern außerdem die Kostüme von Roby Wörsing mit goldenen Pailletten-Sakkos und -kleidern sowie das Bühnenbild von Felix Wienbürger mit einer Optik à la „Goldene Zwanziger“ besonders. Den Rest des Abends zeigt die Bühne einen mit grauen Steinen verkleideten Backstage-Bereich, stimmungsvoll schlicht und realistisch. Gemeinsam mit markanten Lichteffekten – einer weißen Linie, an der alle antreten, einem Rahmen für Erinnerungen, oder einem Kreuz (Lichtdesign: ebenfalls Till Nau gemeinsam mit FirstStageneering) – entsteht das passende Setting.
Das Kultmusical ist in Hamburg wohl nirgends besser aufgehoben als am First Stage Theater, dem Hamburger Off-Broadway, wo die Besetzung mit aufstrebenden Musical-Darstellern dieser anrührenden Hommage an Beruf und Bühne einen bewegenden Nachdruck verleiht.
Musikalische Leitung: Johannes Hierluksch • Regie und Choreografie: Till Nau • Bühne: Felix Wienbürger • Kostüme: Robby Wörsing • Licht: Till Nau und FirstStageneering • Sounddesign: Sebastian Rieß • Mit: Benjamin Plautz (Zach), Natascha C. Hill (Cassie), Abby Cheng (Connie), Reginald Holden Jennings (Richie), Leonhard Lechner (Larry), Lukas Poischbeg (Paul), Sanny J. Roumimper (Mike), Vincent Treftz (Mark), Judith Urban (Sheila), Kevin Gordon Valentine (Greg), Maximilian Vogel (Bobby), Torben Bach (Al), Elisabeth Bengs (Val), Annika Böbel (Bebe) u.a.
Aufmacherfoto: Dennis Mundkowski