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Carmen Ensemble2 c Kerstin Schomburg 20241109 141246 ksc | MUSICAL TODAY

Die Carmen von St. Pauli

Von Sevilla auf den Kiez

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St. Pauli Theater
von
Revue von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann
Georges Bizet (Musik)
Regie
Peter Jordan und Leonhard Koppelmann
Uraufführung
2015

Bizet als Vaudeville-Künstler: „Die Carmen von St. Pauli“

Ein Glücksfall, dieses kleine St. Pauli Theater. Vor zwei Jahrzehnten übernahm dort auf der Hamburger Reeperbahn Ulrich Waller die künstlerische Leitung – er wollte herausfinden, wie intelligent Unterhaltung auf der Amüsiermeile sein kann. Sein Ziel: sich auf die „Spurensuche nach den Wurzeln der deutschsprachigen Unterhaltungskultur“ zu begeben und statt des „völlig belanglosen, globalisierten Theaters“ bei der Frage anzusetzen, was ein Thema in der Stadt sein könnte. Um dann selbst Stücke mit Musik zu produzieren, Stoffe speziell für die „sündige Meile“, Stoffe mit großen Gefühlen, die dem Zuschauer in dem kleinen Theater durch die unmittelbare Nähe zur Bühne „Kino-Feeling“ vermitteln sollen.

Ein ambitioniertes Konzept, das aufgegangen ist: Ob „Dreigroschenoper“, „Cabaret“ oder die St.-Pauli-Revue „Auf der Reeperbahn“ – Publikum und Kritiker strömen seither in das einst profillose Haus, Schauspiel- und Regiegrößen geben sich die Klinke zu dem wunderschönen, plüschig-roten Theaterraum in die Hand. Eben ein Glücksfall für Hamburgs Bühnenlandschaft, vor allem aber für das Theater als Kunstform, das sich hier immer wieder „Die große Freiheit“ zurückerobert und dem Publikum zeigt, was Theater neben tiefschürfenden Botschaften noch alles vermitteln kann: Spiel- und Lebensfreude, Gesellschaftskritik und mitreißende Musik, Melancholie und Poesie, berührende und wunderbar alberne Momente, Nachdenkliches und Selbstironisches. Vor allem aber die große Freiheit für die Fantasie und zum Träumen.

Ein großes Glück, für das es doch so wenig braucht – abgesehen von der Courage des künstlerischen Hausherrn Waller, den Autoren und Protagonisten der Musikrevuen ohne jegliche Vorgabe für ein paar Wochen das Theater zu überlassen. So auch in der jüngsten Produktion „Die Carmen von St. Pauli“: Wo sonst würden sich Intendanten schon trauen, einen der bekanntesten Opernklassiker auf solch eine kleine Bühne zu stellen – und obendrein Bizets berühmte Musik für eine achtköpfige Jazzband einrichten zu lassen im schönsten Vaudeville aus New-Orleans-Jazz, Kurt Weill und Chanson? Dramaturgisch wie bühnenbildnerisch schlichtweg genial ist auch der Schachzug, statt aufwändiger Dekorationen im Hintergrund ohne Pause Erich Waschnecks gleichnamigen Schwarz-Weiß-Stummfilm aus dem Jahr 1928 flimmern zu lassen. Das sorgt nicht allein für das nötige Hafen-Lokalkolorit, sondern beschert auch eine Vintage-Ästhetik, in der die aufziehende Düsternis der NS-Zeit eine ganz andere Bedrohlichkeit entwickelt als die zwischenzeitlich aufmarschierenden SA-Schergen auf der Bühne.

Eine Filmstory, derer sich das Regieduo Peter Jordan und Leonhard Koppelmann angenommen und in ihrem Text pointiert zugespitzt hat. Ihre Carmen (Anneke Schwabe wickelt sich die Mannsbilder nicht zuletzt mit ihrer gurrenden Stimme um den Finger) heißt eigentlich Jenny Hummel und stammt aus Bramfeld. Doch als Kiez-Diva mischt sie nicht nur die Männerwelt auf, sondern mit ihrer Gang der „Hafenratten“ auch im zwielichtigen Schmuggler-Gewerbe mit. Schankwirt Pastia (herrlich übertrieben: Stephan Schad) macht mit ihr beim Ausnehmen der Touristen in seiner Kneipe gemeinsame Sache, Hafenmeister Hansen (Patrick Heyn) ist ihr völlig verfallen, und selbst der kreuzbrave Hafenarbeiter Brandt (Holger Dexne) wird bei ihr schwach. Allein beim skrupellosen Reeder Rasmussen (Götz Otto mimt einmal mehr einen großartig grotesk überzeichneten Bösewicht – dafür nimmt man auch manch sängerische Schwäche hin) stößt sie an ihre Grenzen …

Doch zum einen ist da ja noch Rasmussens (stimm)starke Ehefrau (Nadja Petri), zum anderen Brandts Braut Maria als Heilsarmee-Chefin, der Victoria Fleer einen grandiosen Mix aus stimmlicher Strahlkraft, Show-Attitüde und selbstironischem Witz verpasst. Was ein völlig überdrehtes Finale beschert – und irgendwie doch zu St. Pauli und seinem Theater passt.


Musikalische Leitung: Uwe Granitza unter Mitwirkung von Matthias Stötzel • Regie: Peter Jordan und Leonhard Koppelmann • Filmische Realisation: Meike Fehre • Choreografie: Harald Kratochwil • Kostüme: Barbara Aigner • Licht: Dorle Reisse • Mit: Anneke Schwabe (Jenny Hummel, genannt Carmen), Holger Dexne (Klaus Brandt), Victoria Fleer (Maria, Brandts Braut), Glenn Goltz (Klaus Brandts Mutter/Der scharfe Otto/Hafenratte), Götz Otto (Fritz Rasmussen, Reeder), Nadja Petri (Frau Elsa, seine Frau), Patrick Heyn (Hansen, Hafenmeister), Stephan Schad (Pastia, Schankwirt), Anna Winter (Lotsen-Karl/ Hafenratte), Arvid Johansson (Stift/Hafenratte), Fabian Broermann (Fuchs/Hafenratte), Felicia Jackson (Die rasende Rita), Maya May Sian Oei (Wilma, der Wirbelwind), René Becker (Zylinderherr/Heilsarmist/Polizist) • Theater Orchester Hamburg

Aufmacherfoto: Kerstin Schomburg

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