
Die maritime Farce „Anything Goes“ punktet mit Cole Porter und einem 1A-Ensemble
Wer „Anything Goes“ von Cole Porter auf die Bühnen bringen will, hat ein Problem: Das Libretto ist schrecklich flach. Selbst wenn man die deutsche Version von Niklas Wagner und Roman Hinze aus dem Jahr 2022 einsetzt wie jetzt an der Staatsoper Hannover, bleibt die Handlung meistens unklar und auch streckenweise langweilig. Dabei ist diese Version mit witzigen Pointen angereichert und verständlicher. Bei der Inszenierung von Adriana Altaras ist das nur phasenweise zu erleben.
Auf einer Schiffsreise von New York nach England verquicken die Buchautoren verschiedene Welten zu einem moralisch unauflöslichen Knäuel: amerikanische Unterwelt, High Society, Matrosenwelt, falsches Priestertum, Nachtclub-Atmosphäre und bürgerliche Spießigkeit. Getreu dem Titelsong „Anything Goes“ gibt es keine Grenzen für Erotik, Geldklauen, Passfälschung, Börsenbetrug und Lügen. Da könnte eine Inszenierung auch mal scharfe Blicke auf Heute richten, in Hannover verzichtet man darauf. Schade!
Aber vielleicht sollte man seine Ansprüche an die Logik dieses Werkes auch nicht zu hoch ansetzen. Das Ganze ist halt eine maritime Farce, um die Songs von Cole Porter zu platzieren. Und da kann das Ensemble mit fetzigen Tanzszenen, differenzierter Song-Präsentation und Handlungstempo punkten. Star des Abends ist Bettina Mönch als Nachtclub-Vamp Reno Sweeney. Sie weiß, wie man körperlich von Kopf bis Fuß Bühnenpräsenz erreicht. Jeder Schritt und jede Geste sind bei ihr durchchoreografiert. So kann sie allein durch ihre darstellerische Körperspannung Witz, Verruchtheit, Naivität, Raffinesse, Weichheit, Wut oder auch Klugheit ausdrücken. Dazu besitzt sie eine dem Stil der Porter-Songs angemessene, hohe stimmliche Qualität. Zu einem großen Moment des Abends wird ihre Präsentation des Titelsongs. Und mit der großen, parodistisch leicht churchy angehauchten Nummer „Blow, Gabriel, blow“ laufen sie und das Ensemble zu Hochform auf.
Dass man als klassische Sängerin auch Musical kann, lässt Sopranistin Julia Sturzlbaum als Hope Harcourt erleben: bravourös ihr kleiner Ausflug in die Koloraturkunst zwischendurch. Hope soll bedauernswerterweise aus finanziellen Erwägungen ihrer Mutter (stimmschön und köstlich mit besorgter Hysterie: Carmen Fuggiss) den stieseligen Lord Evelyn Oakleigh heiraten. Beide wollen das aber nicht. Der Lord ist eher hinter der Nachtclubsängerin her und hat damit am Schluss Erfolg. Umwerfend komisch agierend bekennt er sich mit herrlicher Bassstimme und leidenschaftlichstem Ausdruck vor seiner Angebeteten zu „The Gypsy in Me – Der Zigeuner in mir“. Auch Hope wird vor der Ehe mit dem vermeintlich drögen Lord bewahrt. Denn Billy Crocker, der als blinder Passagier auf dem Schiff seine schon an Land begonnenen Avancen an Hope fortsetzt, wird zum guten Ende ihr Bräutigam. Christof Messner als Billy singt seine Songs mit schöner, runder Stimme und verhält sich seiner Rolle als Börsenmakler entsprechend bürgerlich gemäßigt.
Das Musical hat eine schier endlose Rollenliste, es ist unmöglich, alle zu nennen. In den weiteren Partien wird stets der richtige Ton getroffen. Für die Choreografie hat man mit Bart De Clercq einen erfahrenen Könner seines Fachs geholt, wodurch die äußerst kreativ gestalteten Tanzszenen wahre Augenweiden sind. Das Bühnenbild (Timo Dentler und Okarina Peter) platziert den alten Kahn MS America auf einer Drehbühne vor einem riesigen Rundhorizont, auf den wechselnde Himmelsbilder projiziert werden.
Aus dem Orchestergraben kommt unter der äußerst lebendigen Leitung von Piotr Jaworski der klassische Musicalsound der 30er Jahre. Die Lichtregie (Fabian Grohmann) zaubert dazu immer wieder einfallsreiche Effekte auf die Szene. Kurzum: Wenn man die Dialog-Durststrecken beiseitelässt, erlebt man einen unterhaltsamen, musikalisch höchst erfreulichen Cole-Porter-Abend.
Musikalische Leitung: Piotr Jaworski • Regie: Adriana Altaras • Choreografie: Bart De Clercq • Ausstattung: Timo Dentler und Okarina Peter • Licht: Fabian Grohmann • Sounddesign: Maria Anufriev, Anush Grigoryan und Marko Junghanß • Chorleitung: Lorenzo Da Rio • Mit: Bettina Mönch (Reno Sweeney), Julia Sturzlbaum (Hope Harcourt), Carmen Fuggiss (Evangeline Harcourt), Max Dollinger (Lord Evelyn Oakleigh), Frank Schneiders (Elisha Whitney), Christof Messner (Billy Crocker), Dirk Schäfer (Moonface Martin) u.a. • Chor der Staatsoper Hannover • Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Aufmacherfoto: Bettina Stöß




