
Musikalisch rasant und ins Heute geholt: die biblische Rockoper in der Götzenburg
Selten hat Andrew Lloyd Webbers und Tim Rices Rockoper „Jesus Christ Superstar“ derart geglitzert. Von den bunten, fantasiereichen Kostümen über die riesigen Buchstaben HOPE, die samt Broadway-Lämpchen das Bühnenbild in der Götzenburg bilden, bis hin zu den silbernen Outfits von Judas und den durchsichtigen, beleuchteten Engelsflügeln, mit denen er und seine Soulgirls zur Titelnummer die Treppe herabschweben, drängt sich hier die „Superstar“-Show vor den religiösen Aspekt – es passiert also im Grunde genau das, was Judas zu Beginn in der Handlung fürchtet.
Gleich zu Beginn werden Jesus’ Jünger in der Inszenierung von Christoph Biermeier von Soldaten gehetzt; seine Anhänger sind eine multikulti-bunte, friedliche, aber keineswegs religiös konnotierte Protestbewegung, Hippies aus der Zukunft sozusagen. Zwar schwenken sie Fische als Erkennungszeichen (auch die gibt es in Glitzerversion), und natürlich sind in dem woken Haufen auch Frauen als Apostel dabei. Glaube ist Macht, genau deshalb haben die kahlköpfigen Priester, die hier wie Science-Fiction-Diktatoren aussehen, etwas gegen diese neue Bewegung – die Inszenierung schärft das Auge für die gesellschaftspolitische Rolle der Religion, den Aspekt der Verführung.
Mit ihrer Mischung aus Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, der Pride Parade und neonbunten Anime-Figuren qualifiziert sich Kostümbildnerin Stephanie Traut direkt für den Fantasy-Award dieses Freiluftsommers. Der ehrwürdige Burghof leuchtet in Regenbogenfarben, selbst die Treppe hinauf zur Galerie hat Bühnenbildnerin Anne Brüssel eingefärbt. Jesus selbst wirft sich zwischendurch einen Amazing Technicolor Dreamcoat über – Denis Fischer ist ein charismatischer, zutiefst von seiner Friedensmission überzeugter Menschenfreund, dessen Gefangennahme und Kreuzigung hier tatsächlich der Ruch des Scheiterns anhängt. Was auch am fehlenden Wumm in Fischers Stimme liegen mag, der viel zu stark an den Noten klebt und selbst in „Gethsemane“ kaum in die Belt- oder Kopfstimme geht.
Der Rocksänger Antonio Calanna dagegen hat als Judas die Rolle seines Lebens gefunden. Er stößt den Sarkasmus des Jüngers und später dessen Fassungslosigkeit über seinen eigenen Verrat in rauen, oft dreckigen Tönen heraus, singt bis in die höchsten Höhen frei und stark, mit der dunklen Wut aus einer Zeit, als Rock noch politischer Protest war. Auch Aswintha Vermeulen als Maria Magdalena legt tiefe Empfindung in ihren Gesang und quält sich fast in ihrer Liebe zu einem Mann, der ihr doch fremd bleibt. Ihr „Wie kann ich ihn nur lieben“ ist perfekt einstudiert, wird zum Schluss ganz leise und langsam. Als Pilatus zeigt Jeff Zach mit voller, schöner Stimme den faszinierten Intellektuellen – genau das Gegenteil legt Fabio Piana als prolliger Herodes hin. In einer gnadenlos exaltierten wie auch bitterbösen Nummer rauschen die Cheerleader-Pompons um ihn herum, Federpüschel wippen auf den Köpfen und die Musik mutiert zur Dixieband. Die Soulgirls und Apostel sind bis hin zum mehrstimmen A-cappella-Gesang bestens besetzt.
Gesungen wird die neue Übersetzung von Timothy Roller, die mit Sätzen wie „Kriegt den Pöbel wieder ruhig“ oder „Komm zu mir, denn der Preis ist heiß“ das nun auch schon 55 Jahre alte Werk sehr gut ins Heute holt. Dennoch wird sie wie jede andere Übersetzung ein paar Mal durch die Silbenzahl oder eine geschraubte Formulierung ausgebremst. Sowohl die starke, mit eigenwilligen Solisten besetzte Band unter der Leitung von Felix Meyerle wie auch die Inszenierung legen ein erstaunliches Tempo vor, was der Rockmusik natürlich zugutekommt. Die etwas stilleren Momente gehen dabei unter, so hetzt Jesus geradezu durch seine letzten Worte am Kreuz. Zum Schluss immerhin wachen seine harmlosen Jünger auf und realisieren ihren Verlust, Maria weint minutenlang unter dem Kreuz. In der Dunkelheit bleiben Kerzen und die HOPE-Buchstaben übrig; das Publikum schweigt tatsächlich stille, bevor der Schlussapplaus losbricht.
Musikalische Leitung: Felix Meyerle • Choreografie: Sorina Kiefer • Bühne: Anne Brüssel • Kostüme: Stephanie Traut • Licht: Franz Pfleger, Felix Bachmann, Andreas Schick • Sounddesign: Lobo Bauer • Mit: Denis Fischer (Jesus), Antonio Calanna (Judas), Aswintha Vermeulen (Maria Magdalena), Rouven Honnef (Annas), Sinan Akman (Priester), Frank Roder (Kaiphas), Jeff Zach (Pilatus/Apostel 5), Fabio Piana (Herodes/Apostel 4), Immanuel Grau (Petrus), Sebastian Volk (Apostel 6), Markus Wilhelm (Apostel 7), Giovanni Parlanti (Apostel 8/Soulgirl), Katharina Bakhtari (Simon/Soulgirl), Aylin Kipar (Apostel 9), Sorina Kiefer (Apostel 10/Soulgirl), Marianna McAven (Apostel 11/Soulgirl), Daniel Werthwein (Apostel 12) • Chor und Statisterie der Burgfestspiele
Aufmacherfoto: Tobias Metz