02 JESUS Ensemble Foto Andreas Etter | MUSICAL TODAY

Jesus Christ Superstar

Kalt und spektakulär

Die Rockoper „Jesus Christ Superstar“ brandaktuell inszeniert

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Pfalztheater
von
Andrew Lloyd Webber (Musik)
Tim Rice (Liedtexte)
Regie
Pascale-Sabine Chevroton
Uraufführung
1971

Keine Flower-Power, keine fröhlichen tanzenden Jünger, keine Farben. In einem kargen, schwarzweißen, von kalten Lichtkegeln und düsteren Projektionen dominierten Setting gelingt Regisseurin Pascale-Sabine Chevroton und Dirigent Olivier Pols in der Provinz, weit weg vom knallbunten Hangar in Berlin, eine hochspannende, wahrlich faszinierende Produktion von Andrew Lloyd Webbers Rockoper.

Mit radikaler Konsequenz verlegt Chevroton das Stück in unser Medienzeitalter, wo evangelikale Bewegungen eine Diktatur erst ermöglichen. Es sind Bilder, wie man sie ganz aktuell im Fernsehen sieht: Da steht Maria Magdalena wie die Witwe des Trump-Anhängers Charlie Kirk am Rednerpult und singt von ihrer Liebe für ein großes Publikum, da äußert Pontius Pilatus seine Zweifel perfekt inszeniert in eine Kamera, da läuft sich Herodes am Rande warm für seinen kurzen, großen Auftritt auf der Weltbühne. Höchst zynisch tanzt dazu ein Trupp vermummter Show-Soldaten mit Maschinenpistolen und hakt den halb ohnmächtigen Jesus zur Chorus Line unter. Jeder agiert hier einzig für mediale Aufmerksamkeit, selbst die Jünger starren auf Laptops und Handys, anstatt miteinander zu reden.

Noch fesselnder ist der Gedanke, Jesus und Judas ineinander zu spiegeln, sie quasi zu den zwei Seiten einer Person zu machen. Ihre Beziehung steht im Mittelpunkt des Geschehens, beide sind gleich gekleidet, spiegeln sich manchmal auch in ihren Bewegungen. Vor allem aber singen beide immer wieder zentrale Sätze des anderen mit. So spricht Jesus bei Judas’ Verrat leise vor, wo er in dieser Nacht zu finden sein wird, oder Judas, der hier erst gemeinsam mit Jesus stirbt, fragt am Ende mit ihm „My God, my God, why have you forgotten me?“. Beide wissen, dass sie Teil einer Inszenierung Gottes sind – einer erleidet das tapfer und am Rand seiner Kräfte, der andere wütet dagegen. Aber Judas ist es, nicht Maria, der den schlafenden Jesus zu „I don’t know how to love him“ liebend in den Armen wiegt. 

Obwohl man bei den fahlen Kostümen an Kaufhof-Schick denkt, hat Ausstatterin Monika Biegler faszinierende Bilder entworfen, meist nur aus Licht und Schatten: die bedrohlichen Scheinwerferbatterien rechts und links, die Gitterstäbe aus Licht, die kreisenden Lichtkegel, die sich weit nach oben hebenden Bühnenebenen. Hinten fließen schwarzweiße Projektionen herab wie ein Handy-Feed, werden Gesichter bühnenhoch projiziert. In der Tempelszene stellt sich das Tanzensemble unter der Leuchtschrift „Paradise“ in Posen, die den Herrenrasse-Skulpturen des Nazi-Künstlers Arno Breker ähneln. Den höchst beweglichen, engagierten Opernchor lässt die Regisseurin in einem martialischen Schreittanz aus der Tiefe aufsteigen, sein „Well done, Judas“ steigert sich bedrohlich.

Kaum weniger als die Inszenierung begeistert die musikalische Seite der Aufführung: Dynamisch vereint Olivier Pols die Pfalzphilharmonie und eine große Rockband zu Symphonic Rock vom Feinsten, samt fieser E-Gitarre und anderen großartigen Solos. Alles ist klar und vor allem schön laut ausgesteuert, die Stimmen liegen immer vor dem Orchester. Gesungen wird durchweg hervorragend; natürlich steckt Patrick Stanke mit seiner grenzenlosen Stimme alle in die Tasche, und doch ist der Ex-Jesus als Judas immer noch zu harmlos, müsste manche Riffs dreckiger einfärben. Als Jesus wirkt Gunnar Frietsch schmal, fast harmlos und setzt anfangs die Kopf- statt der Beltstimme ein; „Gethsemane“ haut er dann mächtig heraus. Neben dem hellen, schönen Gesang von Valerie Gels (Maria Magdalena) gefallen Chris Green als schmieriger Annas, Johannes Fritsche als cooler Pilatus, der sich am Ende doch in Zweifeln windet, Samuel Franco als Simon und Arkadiusz Jakus als Kaiphas. 

Am Schluss gibt es keine Wiederholung des Titelsongs, kein Playout. Zu den elegischen Streichern von „John Nineteen: Forty-One“ ziehen hinten Aschewolken. Beklemmung liegt über dem Auditorium, bevor es sich zu Ovationen erhebt.


Musikalische Leitung: Olivier Pols • Regie und Choreografie: Pascale-Sabine Chevroton • Ausstattung: Monika Biegler • Licht: Manfred Wilking • Video: Aron Kitzig • Chorleitung: Aymeric Catalano und John Robert Lidfors • Mit: Gunnar Frietsch (Jesus), Patrick Stanke (Judas), Valerie Gels (Maria Magdalena), Johannes Fritsche (Pilatus), Arkadiusz Jakus (Kaiphas), Johannes Hubmer (Herodes), Chris Green (Annas), Andreas Neigel (3. Priester), José Carmona (Petrus), Samuel Franco (Simon Zelotes), Zoe Staubli, Janneke Thomassen, Tabea Floch (Drei Soulgirls) u.a. • Chor, Extrachor, Tanzensemble und Statisterie des Pfalztheaters • Pfalzphilharmonie Kaiserslautern

Aufmacherfoto: Andreas Etter

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