Baha Musical GU 65 | MUSICAL TODAY

Baha und die wilden 70er

Vergessene (Migranten-)Geschichte

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Sanat Ensemble (Comedia)
von
Nedim Hazar (Musik)
Nedim Hazar und Gün Tank (Buch)
Eko Fresh und Nedim Hazar (Liedtexte)
Regie
Tony Dunham
Uraufführung
2025

„Baha und die wilden 70er“ ist mehr Agitprop-Musiktheater als Musical

Schon einmal stand ein Streik bei der Firma Ford Pate für ein Musical: 2014 wurde in London „Made in Dagenham“ aufgeführt, in dessen Mittelpunkt die Nähmaschinen-Arbeiterinnen des Werkes standen, die 1968 erfolgreich für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne streikten. Nun haben zwei Dutzend Schauspieler und Musiker aus Köln das Sanat Ensemble gegründet und erinnern mit „Baha und die wilden 70er“ an einen illegalen Streit im Kölner Ford-Werk 1973. Mit einem Musical hat die Produktion allerdings so wenig gemein wie die Kunst mit dem Kunstdünger. Sie wirkt eher wie die konzertante Aufführung eines Work in Progress, ist mehr politisches Agitprop-Theater mit musikalischen Einlagen.

Während der Autor und Komponist des Stückes, Nedim Hazar, der auch die Rolle des Erzählers übernimmt, das Publikum auf das Stück einstimmt, nimmt im Bühnenhintergrund die durch drei Streicher verstärkte, dynamisch aufspielende Rockband unter Leitung von Klaus Mages Platz. Am rechten Bühnenrand postiert sich jener unvermeidliche „griechische Chor, der zu jedem türkischen Musical gehört“, wie die fünf bunt gekleideten Damen – allesamt Töchter der ersten Gastarbeitergeneration – mit fröhlicher Selbstironie anmerken. Apropos bunt gekleidet: Blaumänner und das Macho-Schwarz türkischer Jungmänner beherrschen die sterile Szenerie, die sich jedem künstlerischen Lichtdesign verweigert, geschweige denn mit einem Bühnenbild aufwartet. 

Nedim Hazar hüpft in seinem weißen Conférencier-Sakko wie ein Rumpelstilzchen über die Bühne, interviewt den Chor, holt mit den ehemaligen „Fordianern“, dem Türken Seyfo Kurt und den Deutschen Peter Bach und Mischi Steinbrück, Zeitzeugen auf die Bühne. Denn dieses fast vergessene Kapitel deutscher (Migrations-)Geschichte steht im Mittelpunkt der Handlung, die sich nicht dramaturgisch entwickelt, sondern in kleinen, unzusammenhängenden Einzelszenen durch Monologe und Dialoge erzählt wird. Rund 12.000 Gastarbeiter, unterstützt von 500 deutschen Kollegen, traten damals in einen illegalen Streik: „Eine Mark mehr für alle. Du bist ein Niemand, mach mal weiter, immer am Fließband, Gastarbeiter“, heißt es im Titelsong, den Nedim Hazars Sohn, der Rapper Eko Fresh, zum Musical beigesteuert hat.

Hazars Songs, teilweise auch in Englisch, Türkisch und Serbisch gesungen, atmen dagegen eher den Rocksound der 70er Jahre, lassen Einflüsse von Janis Joplin, Ton Steine Scherben, aber auch der anatolischen Volksmusik erkennen. Zaghaft versucht man deshalb auch mal ein Ensemble-Tänzchen, das aber wegen fehlender Choreografie eher unbeholfen wirkt.

Dafür überzeugen die aus der freien Kölner Theaterszene stammenden Schauspieler des Sanat Ensembles: Aydın Işık verleiht der Titelfigur des Baha Targün jenes Charisma, das damals den an die Revolutionäre der 68er Jahre erinnernden Streikführer auszeichnete. Vor allem brilliert er im Zusammenspiel mit seiner jugoslawischen Arbeitskollegin und Geliebten Lucy, der Mirjam Radovic gesanglich und schauspielerisch eine überzeugende Bühnenpräsenz verleiht. Der auf vielen Kölner Bühnen gestählte Richard Hucke macht als solidarischer, deutscher Arbeiter genauso eine gute Figur im Blaumann wie Burçin Keskin. Zudem überzeugen beide mit ihren ausdrucksstarken Stimmen – und bringen so doch noch einen Hauch von Musical auf die Bühne. Serdar Altan als junger türkischer Arbeiter İsmail, der zwischen Solidarität und Jobverlust-Ängsten hin und hergerissen ist, bildet mit seinem Arbeitskollegen und väterlichen Freund Muhittin (Barış Ar), der ihn gerne verkuppeln möchte, ein wunderbares Zwei-Generationen-Gespann. Nur als er sein Coming–out hat, ist der Spaß für Muhittin vorbei, zumindest vorübergehend. Vielleicht eine Volte zu viel, die das etwas wirre Libretto von Nedim Hazar und Gün Tank hier schlägt; sie kann auch Tony Dunhams allzu brave Inszenierung nicht ausbügeln.


Musikalische Leitung: Klaus Mages • Regie: Tony Dunham • Mit: Aydın Işık (Baha Targün), Mirjam Radovic (Lucy), Burçin Keskin (Emine/Zelal), Richard Hucke (Reinhold), Serdar Altan (İsmail), Barış Ar (Muhittin), Nedim Hazar (Conférencier), Seyfo Kurt, Peter Bach und Mischi Steinbrück (wahrhaftige Zeitzeugen) • Musikerinnen, Musiker und Frauenchor des Sanat Ensembles

Aufmacherfoto: Günay Ulutuncok

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