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West Side Story

Uralte Missstände

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MusicalSommer Kufstein
von
Jerome Robbins (Idee)
Arthur Laurents (Buch)
Leonard Bernstein (Musik)
Stephen Sondheim (Liedtexte)
Regie
Vanni Viscusi
Uraufführung
1957

Umjubelte Premiere der „West Side Story“

„Früher wurde hier gekämpft. Heute feiern wir.“ steht auf einem großen Banner an der Wand der mittelalterlichen Festung Kufstein. So ganz ohne Kampf geht es aber doch nicht. Dem Menschen scheint das Kämpfen leichter zu fallen als das Feiern und das Hassen leichter als das Lieben, heute wie damals.

Der MusicalSommer Kufstein – 2007 noch als Operettensommer gestartet – geht heuer mit Leonard Bernsteins „West Side Story“ in die 17. Runde. Dem Premierenpublikum unter dem kuppelartigen Dach bläst ein frischer Wind um die Ohren. Der Blick auf die beeindruckende Kulisse, das Kollektiverlebnis Musical mit leidenschaftlichen Tanzchoreografien in stylisch-bunten Kostümen der 50er (Julia Neuhold), ein spannungsvolles Bühnengeschehen und nicht zuletzt die schwungvolle Dynamik aus Bernsteins überwältigender Musik: Das scheint für diesen Abend alle(s) zu einen.

Auf der Bühne der überdachten Festungsarena liefern sich zwei rivalisierende Jugendgangs in Tanz und Spiel erbitterte Kämpfe: Die amerikanischen Jets und die puertoricanisch-stämmigen Sharks ringen um Besitzansprüche, Identität und die Rechte jener, die schon früher da waren – uralte Themen gesellschaftlicher Missstände. Dabei finden die beiden Gangs mehr Gründe, sich zu hassen, als aufeinander zuzugehen, obwohl sie so unterschiedlich gar nicht sind. Die Tanzszenen sind umwerfend – ein echter Knüller ist der „Gym-Dance-Abend“, an dem auch tänzerisch Fronten und Tanzstile aufeinanderprallen: leidenschaftliche Paar- und Gruppentanz-Duelle mit eindeutig zweideutigen Hüftbewegungen – und dann die erste Begegnung von Nicolas Vinzenz als Tony und Margot Wardlaw Baars als Maria, die tatsächlich die Zeit stillstehen lässt. Vergiss New York und den Broadway, Liebesrausch geht auch in Kufstein. Da haben sich offensichtlich zwei gefunden, denen man vorbehaltlos alles glaubt: ihre tiefe Liebe und überbordenden Glücksgefühle, später ihre Ängste, Verzweiflung und die blanke Wut. Da passt alles, im vorzüglichen gesanglichen wie auch im körperlichen Ausdruck. Das trifft mit voller Wucht auf die empfindsame Stelle der Menschen. Gut so.

„Maria, Maria, Maria!“: Dieser Tony scheint vor Glück fast zu platzen, ebenso wie die zarte, aber doch starke Maria – „Tonight, tonight!“, als gäbe es kein Morgen. Fast möchte man in den Wahnsinn eingreifen, damit die Liebe verbindet und Grenzen überwindet. Das versucht auch Tony, der beim Versuch zu schlichten selbst in tödliche Gefahr gerät. Bis zuletzt hofft das Publikum, die „Vorgaben“ des Librettos könnten sich doch ändern, das Unheil könnte sich wie die dunklen Regenwolken über dem Kuppelzelt der Festungsarena verziehen. So sehr gelingt es dem Ensemble in Vanni Viscusis fantastischer Inszenierung, große Gefühle zu wecken. Die emotionalen Wechselduschen verteilt auch das (leider) unsichtbare Orchester unter der Leitung von Oswald Sallaberger wie funkelnde Sterne, wenn es in der genialen Melange aus Oper-, Jazz- und lateinamerikanischer Tanzmusik romantische Liebe und sprühende Lebenslust, blinden Hass und Zerstörungswut gegenüberstellt.

All das macht dieses Werk auf tragische Weise aktuell und Bernsteins Komposition so genial – ein (gefühls)bewegender Musicalabend: „Früher wurde hier gekämpft. Heute feiern wir.“ Vielleicht braucht die Welt mehr Theater und Musik, damit die Menschen, gleich wann oder woher, wieder bessere Gefühle feiern können.


Musikalische Leitung: Oswald Sallaberger • Regie und Choreografie: Vanni Viscusi • Fight Coordinator: Vino Gomez • Ausstattung: Julia Neuhold • Mit: Margot Wardlaw Baars (Maria), Nicolas Vinzenz (Tony), Marina Maniglio (Anita), Vinicius Gomes de Almeida (Bernardo), Verena Kollruss (Graziella), Natascha Cecilia Hill (Rosalia), Isabel Waltsgott (Anybody’s), Leopold Lachnit (Action), Kye Wardlaw Baars (Pepe), Jonas Heinle (A-RAB), Diego Federico (Baby John), Johannes Breitsamter (Snowboy/Big Deal) u.a.

Aufmacherfoto: MusicalSommer/Thomas Böhm

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