
„The Addams Family“ open-air auf dem Domplatz
Comicstrip mit Kultstatus, das schafft die skurril schräge Addams Family seit Jahrzehnten: als Print-Version, TV-Serie oder inzwischen in gelungener Musical-Verpackung. 1938 begann die Erfolgsstory im Magazin „The New Yorker“, kreiert von Cartoonist Charles Addams. Der skizzierte die Abenteuer um Oberhaupt Gomez. In den 60er Jahren fand das amerikanische Fernsehen mit internationaler Verbreitung erheblichen Gefallen am Plot, es folgten weitere Film- und Bühnenversionen. Eigentlich verbreitet der Stoff puren Nonsens, wären da nicht Parallelen zum wahren Leben und die dramaturgisch pfiffige Mischung aus Horror, Komödie und Anzüglichkeiten. Für den Broadway nahmen sich Andrew Lippa (Musik, Liedtexte) sowie die Autoren Marshall Brickman und Rick Elise der amüsant-gruseligen Sache an und landeten ebenfalls einen Hit, der nun open-air auf dem Domplatz als Inszenierung des Magdeburger Theaters mit toller Cast einen ausgelassenen, deftigen, schaurig schönen und komplett ausverkauften Sommerspaß verspricht.
Im Gegensatz zu manch anderen Freilichtaufführungen wird hier richtig geklotzt. Allein das Bühnenbild von Darko Petrovic erweist sich als optische Reizflut mit Lichteffekten (Design: Ingo Jooß) und satten Farben, bevorzugt Schwarz, Blau und Knallrot. Mehrere Treppen und etliche perfekt passende Accessoires vom Sarg über Grabsteine bis zur Riesenspinne bringen die Augen fast pausenlos in Wallung. Ähnliches gilt für Kostüme (Linda Schnabel) und Maske: überbordende Fantasie trifft auf schrilles Make-up. So funktioniert das Musical am besten, ohne psychologische Studien oder sozialkritisches Beiwerk. Es geht um reinstes Vergnügen, und das ist garantiert.
Was zunächst an der Regie liegt. Felix Seiler versteht sein Fach, mobilisiert den Apparat vom ersten Moment an, meißelt aus Charakteren köstlich verwegene Karikaturen, überdreht das Ganze bis zum Siedepunkt und gibt dem Spooky-Affen jede Menge Süßstoff. Danny Costellos wirbelnde Choreografie grundiert die Lesart mit einem verblüffenden, staunenswerten, oft atemberaubenden Bewegungsvokabular, besonders beim Hand-Ballett im Song „Sag die Wahrheit“. Was die beiden kongenial schaffen, beflügelt auch die alternierenden Dirigenten Paweł Popławski/Davide Rinaldi samt Magdeburger Philharmonie, die derart munter aufspielt, als sei der übliche Einsatzort nicht das Opernhaus, sondern der Broadway.
„The Addams Family“ erweist sich als Mischung aus „Rocky Horror Show“ und „La Cage aux Folles“: Die spießigen Beinekes mit Kleinstadt-Domizil treffen auf die Addams-Freaks, die einen New Yorker Totenacker bewohnen. Provinz und Metropole, das allein wirft schon Probleme auf, im konkreten Fall natürlich noch mehr. Zwischen Streckbank, Pyro-Effekten und morbider Atmosphäre entspinnt sich ein überdrehter Klamauk mit Gothic-Flair, Slapstick, Nebel und dem berühmten Eiskalten Händchen inklusive. Herrlich, wenn die biedere Alice (Veronika Hörmann) plötzlich hysterisch intimste Emotionen offenbart und Ehemann Mal (Fehmi Göklü) knallhart düpiert, die schrullige Grandma (April Hailer, im Wechsel mit Lucia Reinhard) ein teuflisches Süppchen bereitet, der Rollschuh fahrende, grummelig-wortkarge Butler Lurch (Matthias Knaab) final doch singen kann („Tauch ab ins Dunkel“) oder Pugsley (Luisa Meloni) sich unter Starkstrom verlustiert. Zwischen Friedhof und Folterkammer tobt sich das hinreißend besetzte Ensemble mit prallster Leidenschaft und Exzentrik zu rockig-lateinamerikanischen Rhythmen aus.
Enrico De Pieri ist Gomez mit den Attitüden eines italienischen Knödeltenors, Bettina Mönch dessen Gemahlin Morticia als erotischer Vulkan in lasziver Robe, Sandra Leitner die einst nekrophile, nun bürgerlich mutierte Tochter Wednesday, Tobias Joch (alternierend mit Lukas Witzel) gefällt als unbeholfener Lucas Beineke und Mathias Schlung schlurft als mondverliebter Onkel Fester verwegen androgyn durch die Handlung. Die opulente Produktion marschiert schnurstracks auf den Olymp, mehr Musical geht kaum. Tosender Beifall für alle Beteiligten.
Musikalische Leitung: Paweł Popławski • Regie: Felix Seiler • Choreografie: Danny Costello • Bühne: Darko Petrovic • Kostüme: Linda Schnabel • Licht: Ingo Jooß • Mit: Enrico De Pieri (Gomez Addams), Bettina Mönch (Morticia Addams), Mathias Schlung (Onkel Fester), April Hailer (Grandma), Sandra Leitner (Wednesday Addams), Luisa Meloni (Pugsley Addams), Matthias Knaab (Lurch), Fehmi Göklü (Mal Beineke), Veronika Hörmann (Alice Beineke) , Tobias Joch (Lucas Beineke) • Opernchor und Ballett des Theaters Magdeburg • Magdeburgische Philharmonie
Aufmacherfoto: Andreas Lander