
„La Cage aux Folles“ bietet Unterhaltung für Auge und Ohr
„La Cage aux Folles“ gehört zu den meistgespielten Musicals und steht derzeit auch wieder am Münchner Gärtnerplatz auf dem Programm. Kurz nachdem das Publikum im mit bunten Lichterketten geschmückten Zuschauerraum Platz genommen hat, wird es durch die schwungvolle Ouvertüre und einen Kurzfilm über die queere Zeitgeschichte in die 1970er Jahre katapultiert und verwandelt sich in die Gäste des Nachtclubs „La Cage aux Folles“ in St. Tropez. In den nächsten zwei Stunden gibt es kein Entrinnen aus dem Käfig voller Narren – nicht dass der Wunsch danach entstünde, denn die bekannte Liebes- und Familiengeschichte um Albin und Georges bietet auch hier beste Unterhaltung.
Genau sie steht im Mittelpunkt der Inszenierung von Intendant und Regisseur Josef E. Köpplinger, der es sich nicht nehmen lässt, immer wieder kleine, leicht zu verpassende szenische Scherze unterzubringen, wie etwa Schwindel- oder Übelkeitsanfälle unter den Cagelles während allzu ausufernder Pirouetten. Derlei tänzerische Herausforderungen und die zahlreichen schwungvollen, ja mitreißend-einheizenden Choreografien stammen von Adam Cooper, der wie das restliche Kreativteam sein Handwerk exzellent beherrscht.
Auch Rainer Sinell (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) dürfen sich austoben: So werden reichlich farbenfrohe Kulissen inklusive buchstäblich malerischer Küstenkitsch-Szenerie und rosa Triumphbogen aufgefahren, dekoriert mit allerlei Phalli – ob als Kerzen in den Wandkronleuchtern, als Skulpturen oder Zigarettenhalter –, mit unzähligen bunten Federn und noch viel mehr Glitzer. Dagegen kommt nicht einmal das kolossale Kreuz mitsamt leidendem Jesus (ausnahmsweise eine untenrum bedeckte Wanddekoration) in der für die Gäste konservativ umgestalteten Wohnung von Georges und Albin an.
Wie vom Gärtnerplatztheater gewohnt, bekommt man musikalisch die Crème de la Crème geboten. Das Staatsorchester spielt unter der musikalischen Leitung von Jeff Frohner gekonnt auf, das Ensemble überzeugt gesanglich auf der Bühne. Als Albin alias Zaza zeigt sich Armin Kahl sowohl als einfühlsamer Familienmensch wie auch als vielfach gefeierte Diva. Nach seiner emotional performten Gänsehaut-Nummer „Ich bin, was ich bin“ erhält er zu Recht bebenden Applaus. Als sein Lebenspartner Georges steht ihm Daniel Prohaska in nichts nach. Er verkörpert authentisch den schillernden Nachtclubbesitzer, der als liebender Vater bereit ist, sein gesamtes Leben und alles, wofür er steht, nach außen hin zu leugnen. Die beiden ergänzen sich hervorragend und man nimmt ihnen das alternde Liebespaar zu jeder Zeit ab. Begeisterten Applaus sowie die meisten Lacher erhält Christian Schleinzer in der Rolle des Butlers Jacob aka Zofe Claudine. Mit bewusst überzogener Theatralik stellt er nicht nur die Starqualitäten seiner Rolle, sondern auch seine eigenen unter Beweis. Auch das restliche Ensemble liefert bestens ab, darunter Florentine Beyer als Anne, Paul Clementi als ihr Verlobter Jean-Michel oder Erwin Windegger als erzkonservativer Politiker Edouard Dindon.
Diese Münchner Inszenierung von „La Cage aux Folles“ unterhält jedenfalls Auge und Ohr, kommt jedoch mit wenig neuen Einfällen daher. Die Schlagkraft wie zu Zeiten der Uraufführung kann man nur noch erahnen, das Stück hat etwas Patina angesetzt. Beunruhigend jedoch – und vielleicht gerade das zum Nachdenken anregende Momentum – ist, dass Figuren wie Dindon, der gegen Homosexualität und jede Form der Diversität wettert, auch heute noch genauso zu finden sind. Und das, obwohl man meinen möchte, dass die LGBTQIA+-Bewegung in den letzten Jahrzehnten einige Fortschritte erzielt hat. Es bleibt das mulmige Bauchgefühl, dass sich die zu Beginn auf der Leinwand gezeigten Errungenschaften in der weiteren Zukunft nicht mehren, sondern wieder Stück für Stück abgebaut werden könnten. Bleibt nur zu hoffen, dass Kultur und Theater weiterhin als Bastionen der Vielfalt fungieren werden.
Musikalische Leitung: Jeff Frohner • Choreografie: Adam Cooper • Bühne: Rainer Sinell • Kostüme: Alfred Mayerhofer • Licht: Josef E. Köpplinger und Peter Hörtner • Mit: Daniel Prohaska (Georges), Armin Kahl (Albin), Paul Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne), Erwin Windegger (Edouard Dindon), Anja Clementi (Marie Dindon), Christian Schleinzer (Jacob), Anna Overbeck (Jacqueline), Frank Berg (Francis), Frances Lucey (Babette), Diego Federico (Chantal), Alexander Findewirth (Hanna), Peter Neustifter (Mercedes), Michael B. Sattler (Phädra), Fabian Koller (Odette), Johannes Summer (Nicole), Riccarda Schönerstedt (Angelique), David Hegyi (Marika), Matthew Jared Perko (Dermah), Alexander Hille (Bitelle), Amelie Lambrichts (Lo Singh), Marta Jaén Garcia (Clo-Clo), Holger Ohlmann (Monsieur Renaud), Tracey Adele Cooper (Madame Renaud), Shania Ochsner (Paulette), Joël Zupan (Hercule), Ann-Katrin Naidu (Madame de Colette) u.a. • Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Aufmacherfoto: Markus Tordik