
Studierende begeistern mit dem „Toxic Avenger“
Im Kino hatten Comic-Helden lange Zeit quasi eine Lizenz zum Gelddrucken. Doch am Broadway taten sich Superman, Spider-Man, Batman und Co. von Anfang an schwer, selbst mit prominenten Namen wie Charles Strouse, Julie Taymor oder Jim Steinman im Hintergrund. Wie es scheint, liegt das Geheimnis des Erfolgs bei Bühnenhelden keineswegs in großen Spezialeffekten.
Und so ist es kein Wunder, dass zwischen mehreren legendären Flops ausgerechnet der „Toxic Avenger“ als unerwarteter Sieger auftauchte. Ein kultiger Off-Broadway-Hit, der seit der Premiere 2008 seinen Siegeszug um den Globus angetreten hat. Jetzt nimmt er Kurs auf den Silbersaal des Deutschen Theaters München, wo der Musical-Studiengang der Bayerischen Theaterakademie August Everding den campigen Spaß in seiner kleinen, aber in der Regel äußerst feinen Masterclass-Reihe präsentiert.
Wie in Lloyd Kaufmans gleichnamigem B-Movie von 1985 ist der Schauplatz der gelungenen Bühnenadaption die Stadt Traumaville in New Jersey und der Protagonist ein schüchterner Tollpatsch namens Melvin. Er will die Machenschaften der korrupten Bürgermeisterin aufdecken, die im großen Stil illegal Giftmüll verschwinden lässt. Doch als sie ihm zwei Schläger auf den Hals hetzt, die ihn in einem Fass voller Chemikalien versenken, nimmt die Story eine (un)erwartete Wendung. Denn das toxische Gebräu befördert Melvin keineswegs ins Jenseits, sondern verwandelt ihn in ein grünes Monster mit übermenschlichen Kräften.
Ähnlichkeiten mit Batmans Joker oder dem Unglaublichen Hulk sind natürlich beabsichtigt. Denn „The Toxic Avenger“ nimmt die Klischees der Superhelden-Filme ebenso ironisch aufs Korn wie das Genre Musical an sich, das von Bon-Jovi-Keyboarder David Bryan und seinem Mitstreiter Joe DiPietro ordentlich durch den Kakao gezogen wird. So, wie es der „Little Shop of Horrors“ oder „Reefer Madness“ vorgemacht haben.
Dass die Bühne im Silbersaal technisch nicht allzu viel hergibt, muss Regisseur Thomas Maria Peters da nur wenig kümmern. Denn wie die Filmvorlage lebt auch das kurzweilige Musical in erster Linie von seinem improvisierten trashigen Charme und dem oft reichlich zotigen und alles andere als politisch korrekten Humor. Und den wissen sowohl Peters als auch Choreografin Anna Angelini zum großen Amüsement des Publikums mit viel gekonntem Slapstick zu bedienen.
Für das fünfköpfige Ensemble gibt es da kaum eine ruhige Minute. Christian Sattler gibt den Titelhelden als sympathischen Nerd mit linksgrüner Gesinnung, dessen schüchternes Naturell auch später unter den giftgrünen Muskelbergen noch deutlich zu spüren ist. Melanie Maderegger als sein praktischerweise blindes Love Interest darf in ihren Songs dagegen mächtig aufdrehen und punktet zudem mit komödiantischem Timing. Eine echte Tour de Force absolvieren neben dem zentralen Paar aber auch Tillmann Schmuhl und Julia Bergen. Das dynamische Duo verkörpert mit teils sekundenschnellen Kostümwechseln nämlich gleich ein gutes Dutzend Nebenrollen und beweist dabei sowohl seine darstellerische als auch stimmliche Wandlungsfähigkeit. Qualitäten, die auch Amy Sellung im Übermaß mitbringt, die in ihrer Doppelrolle als Bürgermeisterin und Melvins Mutter ein irrwitziges Zickenduell mit sich selbst abliefern darf.
Der „Toxic Avenger“ mag zwar nicht unbedingt der Musical-Held sein, mit dem wir gerechnet haben – aber er ist definitiv der, den sich das begeistert mitgehende Premierenpublikum redlich verdient hat.
Musikalische Leitung: Christoph Weinhart • Ausstattung: Adriana Mortelliti • Choreografie: Anna Angelini • Mit: Christian Sattler (Melvin/The Toxic Avenger), Melanie Maderegger (Sarah), Amy Sellung (Bürgermeisterin Babs Belgoody/Ma/Nonne), Julia Bergen (Typ 1), Tillmann Schmuhl (Typ 2)
Aufmacherfoto: Lioba Schöneck