Erfrischend unkonventionelle Uraufführung eines „intergalaktischen Musicals“
Die Münchner Kammerspiele sind als Anlaufstelle für einen Musicalabend eher ungewöhnlich – und doch erscheint die Uraufführung des sogenannten „intergalaktischen Musicals“ „Very Rich Angels“ von Madame Nielsen & Christian Lollike hier bestens aufgehoben. Intergalaktisch deshalb, weil das Stück zum Mars führt. Doch alles der Reihe nach: Ausgangspunkt der Handlung ist ein Diner – die „Confessional Bar“ – in Palo Alto, in dem ein galanter Kellner in Livree darauf wartet, den Gästen die tiefsten Begierden zu entlocken. Dort finden sich aber nicht irgendwelche Menschen ein, sondern Prominente wie Bill Gates, Elon Musk und Mark Zuckerberg. Praktisch, dass sich ihre Wünsche respektive egomanischen Welterlösungsfantasien am besten gemeinsam umsetzen lassen, indem sie zum Mars fliegen.
Musk hat bereits alles für die Besiedelung inklusive der Etablierung des „Kapitalismus Mars-Punkt-Null“ geplant. Dort sind Gates Smarttoilette und Zuckerbergs Metaverse schließlich am besten aufgehoben. Beinahe hätte sich dieser Mission sogar der auf die Tränendrüse drückende Wladimir Putin angeschlossen. Er macht aufgrund zu queerer Gesellschaftspläne jedoch einen Rückzieher von seinen Fluchtplänen. Kaum gelandet, finden sie dort nicht nur die Voyager Golden Records, sondern auch „native Marsianer:innen“. Die Begegnung mündet in einem grotesken Paarungsritual, das die drei Männer schwanger zurücklässt: „Father Earth, Giving birth, Among Stars, To the new life on Mars.“ Aber um das neue Leben auf dem Mars geht es gar nicht. Der Kern ist vielmehr das Verlangen nach dem Träumen selbst, nach Zielen im Leben. Und selbst Multimilliardäre sind ohne diese Fähigkeit nicht glücklich.
Nicht nur die Handlung ist sehr karikaturesk, sondern auch die Inszenierung von Mit-Autor Christian Lollike bedient sich verschiedener Überzeichnungen: Die Mächtigen tragen überdimensionierte Pappmaschee-Köpfe und Zuckerberg leidet als vermeintlicher Messias am Kreuz, in dem das X-Icon der ehemaligen Twitter-Plattform aufleuchtet. Dazu hat Ausstatterin Katrin Bombe das passende Interieur und Outfit kreiert. Jacob Suskes Musik wechselt von stimmungsvollen Hintergrundsounds zu abwechslungsreichen Songs, in denen man verschiedene musikalische Zitate ausmachen kann. Das Hauptohrenmerk richtet sich jedoch weniger auf die Musik selbst, als vielmehr auf die Rhythmik und Klanghaftigkeit, sowie die Worte im fluiden Wechsel zwischen Deutsch und Englisch.
Genauso souverän oszillieren die Künstlerinnen und Künstler zwischen Schauspiel, Gesang und ihren Instrumenten – Multitasking ist hier an der Abendordnung und selbst der Komponist ist als Instrumentalist auf der Bühne. Madame Nielsen am Piano brilliert stimmlich in den Rollen als Kellner und Marsianer. Ob tiefe, raue Töne à la Waits und Bowie oder überirdische Falsett-Laute: Sie meistert sie. Als Elon Musk überzeugt Annette Paulmann auf ganzer Linie und vermag die exzentrische Körpersprache des echten Milliardärs hervorragend nachzuahmen. Nicht nur Akkordeon und Schlagzeug beherrscht Jelena Kuljić, sondern auch ihre klare Gesangsstimme. Wenn sie „Putins Blues“ zärtlich-flehend und wunderschön gesungen darbietet, könnte man beinahe Mitleid mit dem „sanften guten Jungen“ haben, der selbstverständlich alles andere als „a good man“ ist. Respekt gilt auch Elias Krischke als Mark Zuckerberg, des Öfteren mit Aktivpart am Schlagzeug. Mit kräftiger Stimme rockt er die Songs, genauso wie den „I had a dream“-Monolog, gespickt mit woken Alliterationen ohne Punkt und Komma. Als Gitarre spielender Bill Gates beweist Christian Löber sein Können.
Bei der Premiere des Auftragswerks „Very Rich Angels“ bekommt man Schauspielkunst auf höchstem Niveau geboten, angereichert mit abwechslungsreichen Klängen und groteskem Humor. Gewiss, die Handlung ist absurd, die Moral der Geschichte ein wenig banal, dennoch wird das Publikum während der kurzweiligen 90 Minuten wunderbar mit bissiger Gegenwartskritik unterhalten. Ein erfrischend unkonventioneller und sehenswerter Beitrag zum Genre Musical.
Ausstattung: Katrin Bombe • Licht: Christian Schweig • Ton: Viola Drewanz, Paolo Mariangeli und Quirin Schacherl • Mit: Elias Krischke, Jelena Kuljić, Christian Löber, Madame Nielsen, Annette Paulmann • Live-Musik: Jacob Suske
Aufmacherfoto: Julian Baumann