Cabaret

Auf den Kern geschliffen

oRT
Theater Neubrandenburg/Neustrelitz
von
Joe Masteroff (Buch)
John Kander (Musik)
Fred Ebb (Gesangstexte)
Regie
Maik Priebe
UraufführunG
1966

„Cabaret“ auf Tuchfühlung mit dem Publikum

Häufig zu chic, manchmal zu bieder: Auf der Bühne trifft der Kit-Kat-Klub nicht immer das spezifische Kolorit. Was genau vor knapp 100 Jahren ein Publikum in dieses Etablissement am Nollendorfplatz anlockte, ist heute der Fantasie von Regisseuren oder Ausstattern überlassen – und erscheint dann gelegentlich danebengegriffen. Im Schauspielhaus Neubrandenburg durfte Susanne Maier-Staufen aus dem Vollen schöpfen und gleich das gesamte Haus als Adresse für halbseidenes Tingel Tangel ausstaffieren, mit Tischen und intimer Beleuchtung. Rot und Schwarz dominieren in dieser „Cabaret“-Inszenierung, das Publikum spielt mit und verleiht der besonderen Atmosphäre aus Plüsch, Puff und Pikanterien eine spezielle Note, das Ganze vor dem Hintergrund des aufziehenden Nationalsozialismus.

Der aktuelle Rechtsruck katapultiert „Cabaret“ wieder ganz nach oben: Riesenerfolg im West End, Neustart am Broadway, in Deutschland quer durch die Republik. Das Musical von Joe Masteroff (Buch), Fred Ebb (Gesangstexte) und John Kander (Musik) vermittelt den Eindruck, als hätte das Kreativteam der New Yorker Uraufführung von 1966 den Spirit von Berlin anno 1930 persönlich inhaliert. Die Aufführung pendelt in perfekter Dosierung zwischen billigem Etablissement, politischen Andeutungen und individuellen Geschichten der Hauptfiguren. Durch die Raumgestaltung wirkt alles nahbar, direkt, auf Tuchfühlung quasi.

Regisseur Maik Priebe schärft Charakter und Stimmungen, fängt den Geist der brodelnden Metropole als Tanz auf dem Vulkan ein und lässt zugleich Platz für private Schicksale, die anrühren. Da sind zum Beispiel Fräulein Schneider (sehr markant: Marion Martienzen) und Herr Schultz (authentisch: Thomas Pötzsch), das alternde Paar, deren Hochzeit das drohende Nazi-Ungemach vereitelt, oder Cliffords kurz Stippvisite in der deutschen Hauptstadt: zerplatzende Sehnsüchte, erodierende Liebe, rascher Aufbruch. Robert Will legt ihn gehetzt, gereizt, zerrissen an. Fräulein Kost (Lisa Scheibner) verkauft ihren Körper an einsame Matrosen und landet im braunen Sumpf, wo sich Parteisoldat Ernst Ludwig (Florian Rast) bereits erfolgreich tummelt. Daraus wird eine toxische Melange aus Resignation, Parolen, Götterdämmerung und Niedergang.

Priebes Inszenierung stürzt jedoch nie in moralinschwere Analyse oder bleierne Düsternis. Der Regisseur setzt schnelle Schnitte, nimmt Kontraste in den Fokus, platziert Tristesse neben schrillen Momenten und bewegende Szenen neben dem trügerischen Glanz des Klubs. Das flutscht hervorragend, unterstützt von Choreograf Lars Scheibner, der einige Akzente zwischen Showtreppe und Latexboden setzt. Die Kostüme von Christine Jacob reflektieren exakt die Mode der damaligen Zeit. Den stärksten Beitrag zum Gelingen liefert Thomas Möckel mit seiner Band. Sie werfen sich mit Verve in die reduzierte Orchesterfassung von Chris Walker, pointieren, legen den Kern frei und geben jedem Song den nötigen Biss, befreit von überflüssiger Süße. Der Feinschliff bekommt Kanders Musik vorzüglich, es dampft aus allen Poren und formiert sich zur Extraklasse, „Mein Herr“, die „Ananas“, „Maybe This Time“ als Chanson mit Jazz-Glasur oder der trotzig-kämpferische Titelsong hangeln sich in großartigen Arrangements auf den Zenit.

Spelunke und Glamour, Abtreibung und aussichtslose Illusionen: „Cabaret“ führt den emotionalen Cocktail mit Rasanz und Finesse zusammen. Alle sind konzentriert und mit Herzblut dabei, im Mittelpunkt stehen Noah Alexander Wolf als Conférencier und Josefin Ristau als Sally Bowles. Sie bündeln die Gefühle und Ängste, schillernden Schein und trübes Sein, wild und kraftvoll, zerbrechlich und leise, grinsend und in Tränen. Da pulsiert Energie mit 220 Volt auf der Bühne. Das Musical wirkt in dieser Form taufrisch, macht nachdenklich und unterhält zugleich bestens. In drei Stunden kommt keine Sekunde Langeweile auf, das spricht für sich. Entsprechend enthusiastisch feiert das einbezogene Publikum die Neubrandenburger Sommerproduktion.


Musikalische Leitung: Thomas Möckel • Bühne: Susanne Maier-Staufen • Kostüme: Christine Jacob • Choreografie: Lars Scheibner • Mit: Josefin Ristau (Sally Bowles), Noah Alexander Wolf (Conférencier), Robert Will (Clifford Bradshaw), Marion Martienzen (Fräulein Schneider), Thomas Pötzsch (Herr Schultz), Lisa Scheibner (Fräulein Kost), Florian Rast (Ernst Ludwig) u.a. • Band (Piano/Akkordeon/Toy-Piano, Drums/Singende Säge, Bass, Saxophon/Klarinette, Posaune, Violine)

Aufmacherfoto: TOG/Matthias Horn

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