17 sweeney gp c Kaufhold 1960 | MUSICAL TODAY

Sweeney Todd

Die brave Opernversion

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Saarländisches Staatstheater
von
Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte)
Hugh Wheeler (Buch)
Regie
Carlos Wagner
Uraufführung
1979

Verpasste Gelegenheiten für Sondheims Grusel-Musical „Sweeney Todd“

Stephen Sondheims und Hugh Wheelers Moritat vom mörderischen Barbier hat sich fest im Repertoire der deutschen Opernhäuser etabliert, und noch jedes Publikum, das zum ersten Mal in das tiefdunkle Finale voller Morde, Nihilismus und Zerstörung hineingezogen wird, reagiert verunsichert oder gar verstört. Im Saarländischen Staatstheater gibt man die Opernversion des Musicals, mit einem Orchester voll wunderbarer Farben und Solostimmen, schwungvoll und subtil dirigiert von Stefan Neubert. Aber leider mit Opernsängern in fast sämtlichen Rollen besetzt, die den Unterschied zu schauspielernden Musicaldarstellern so deutlich machen, dass es manchmal sogar dem Werk schadet. 

Die Aufführung beginnt mit dem gesamten, unheimlichen Orgelvorspiel, das in den meisten Aufführungen nur gekürzt zu hören ist. Der Pasteten-Walzer für Todd und Mrs. Lovett, ihr „An der See“ und überhaupt alles, was in Sondheims Partitur melodisch ist, klingt ganz wunderbar, der Dirigent spielt mit der Dynamik und die Sänger lassen ihren reichen Stimmen freien Lauf. Sobald es aber um Pointen, um Timing, Charakterisierung oder Dialoge geht, reiht sich eine verpasste Gelegenheit an die andere – was auch daran liegen mag, dass mit Carlos Wagner ein ausgewiesener Opernregisseur am Werk war. Der Übergang zwischen Singen und Sprechen wird zum Parlando, Lacher klingen opernhaft künstlich, es gibt keine Schreie, keine verräterischen Blicke, keine brechenden Stimmen. Alle Darstellung bleibt brav im Rahmen der Oper, es fehlen die Extreme am Rande des Wahnsinns, es fehlt die Psychologie der Figuren und der Grand Guignol.

Stefan Röttig trifft als racheversessener Barbier zwar sehr schick in London ein, entwickelt aber nie das Brodeln der verborgenen Rachegefühle; Todd zeigt selbst dann kaum Entsetzen, als er seine eigene Frau ermordet hat. Carmen Seibel kokettiert als Mrs. Lovett im Stil der „Lustigen Weiber von Windsor“, nur selten lässt sie die hinterlistige Egozentrik der Bäckerin durchscheinen. Am wenigsten fällt das darstellerische Defizit noch bei Anthony Hope und Johanna auf – Laurence Kalaidjian und Liudmila Lokaichuk erfüllen ihre Rollen mit schönem Gesang und Zuneigung. Judith Braun wandelt als Bettlerin nie zwischen Irrsinn und verzweifelter Erinnerung, Markus Jaursch immerhin als Richter Turpin und vor allem Algirdas Drevinskas als schmierig-reizender Büttel Bamford im Schottenrock machen ihre Figuren zu Charakteren. Sobald Lukas Witzel als Toby auftritt, weiß man plötzlich, wie Musical geht: Er singt verständlich und natürlich, zeigt die zunehmende Nervosität des Jungen in der Backstube und kann die Spannung halten.

Gespielt wird auf gleich vier Ebenen. Christophe Ouvrards raffiniertes, mehrteiliges Bühnenbild zeigt hoch über der Pastetenbäckerei und Todds geisterhafter Barbierstube noch Johannas Balkon oder Illustrationen der erzählten Handlung. Leider sehen die Seitenteile mit ihren Plastikplanen etwas zu stark nach Baustelle aus, aber die Verwandlungen laufen schnell und flüssig. Das Irrenhaus taucht von unten auf. Die Leichen fallen vom Barbierstuhl nicht direkt in die Backstube, man hört nur das Plumpsen, dafür kommt aus dem großen Fleischwolf tatsächlich eine pürierte Masse.

Wenn das Finale immer gruseliger und unheimlicher wird, dann liegt es nicht unbedingt an den sechs Chorsolisten, die im zweiten Akt als Totentanz-Skelette erscheinen und sich um manche Szenen drapieren. Irgendwann steigen in den Projektionen oben dunkle, riesige Rauchwolken auf, der Ofen schlägt Funken und die Irren schwanken wie Zombies durch London. Es gibt eine kurze, bewegende Vereinigung von Mutter Lucy und ihrem Kind Johanna, bevor ein zutiefst verstörter Toby aus dem Keller auftaucht und den Barbier erlöst, der hier willig stirbt. Selbst in dieser etwas anämischen Inszenierung trifft das Stück in die Magengrube.


Musikalische Leitung: Stefan Neubert • Ausstattung: Christophe Ouvrard • Video: Francesc Isern • Licht: Patrik Hein • Chor: Mauro Barbierato • Mit: Stefan Röttig (Sweeney Todd), Carmen Seibel (Mrs. Lovett), Laurence Kalaidjian (Anthony Hope), Liudmila Lokaichuk (Johanna Barker), Lukas Witzel (Tobias Ragg), Markus Jaursch (Richter Turpin), Algirdas Drevinskas (Büttel Bamford), Judith Braun (Bettlerin), Jon Jurgens (Adolfo Pirelli/ Mr. Fogg), Philipp Schneider (Vogelhändler) u.a. • Opernchor des Saarländischen Staatstheaters • Saarländisches Staatsorchester

Aufmacherfoto: Martin Kaufhold

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