„Hairspray“ als knallbuntes Plädoyer für Toleranz
„Hairspray“ spielt fast zur gleichen Zeit wie „Hair“ in den USA der 1960er Jahre. Das Musical nach dem gleichnamigen Film des „Trash-Papstes“ John Waters kommt genauso bunt daher, ist aber inhaltlich doch eine Nummer kleiner: Statt der Hippies, die gegen die Gesellschaft rebellieren, sind es hier erst mal die braven Highschool-Teens, die sich an ihren Müttern abarbeiten – vor allem die pummelige Tracy Turnblad, die unbedingt ins Fernsehen will. Aber was wie eine tanzreiche und sehr lustige Feelgood-Show anfängt, erweitert sich zu einem wirksamen und erstaunlich fröhlichen Plädoyer für Toleranz, zu einem Musical gegen jede Art von Diskriminierung. „Hairspray“ entblößt den Rassismus der reichen Oberschicht jener Zeit und zeigt ohne große historische Belehrung, sondern direkt am lebenden Objekt, wie stark die schwarze Kultur die Pop- und Tanzmusik beeinflusste. Und ganz nebenbei auch, wie offen Kinder heranwachsen und dass sie erst von der Intoleranz der Erwachsenen negativ beeinflusst werden.
Die „farbige Musik“, wie sie hier noch genannt wird, mischt den Rock’n’Roll der weißen Jugend und die schönen Schnulzen à la Elvis auf, Komponist Marc Shaiman vereint all diese Stile in einer explosiven, rhythmusreichen Partitur mit vielen Tanzszenen. In der langen Geschichte der Musical-Inszenierungen auf der Schwäbisch Haller Treppe, einer der schönsten Freiluft-Locations der Republik, hat man inzwischen eine Technik entwickelt, die steilen, kurzen Stufen zu betanzen, die jedes Jahr aufs Neue atemlos macht. In den Choreografien von Nigel Watson und Regisseur Christopher Tölle wirbelt das Ensemble in Kreisen um Tracy herum, swingt als breite Linie, strebt in Blumenform von ihr weg oder auf sie zu.
Tölle inszeniert den schrillen Humor des Musicals eher leicht und losgelöst, setzt mit seinen übermütigen Darstellern manchmal noch eins drauf – einen schwyzerdütschen Einwurf von Link Larkin etwa, als er grade Romeo-mäßig auf die Leiter stürmt, um Tracy zu retten. Auch die Romantik kommt nicht zu kurz: Als sich endlich die Paare alle finden, tauchen plötzlich überall auf der Treppe Verliebte auf. Das Exaltierte überlässt die Regie eher den knallbunten Kostümen und Perücken von Ausstatterin Heike Seidler, deren – dem Ort geschuldet – sparsames, aber lustiges Bubble-Bühnenbild von einer stimmigen Lichtregie ergänzt wird.
Das großartige Ensemble singt und tanzt mit spürbarer Wonne und interpretiert das Musikpanorama der 1960er mit durchweg tollen, leicht geführten Stimmen – allen voran die „pummelige Kommunistengöre“ Tracy Turnblad alias Daniela Tweesmann. Ihre prollige Mutter Edna ähnelt der Form nach eher Mrs. Potts aus „Die Schöne und das Biest“, Andrea Matthias Pagani legt die Kittelschürzen-Queen weniger schrill, dafür knochentrocken und sehr liebenswert an, assistiert von den heiteren Witz-Fehlzündungen des Gatten Wilbur (Claudius Freyer). Lucca Kleimann wird als Tracys Angehimmelter Link Larkin, staunend über sich selbst, vom selbstverliebten Crooner zum tapferen Kerl. Entzückend dusselig spielt Mirjam Wershofen Tracys Freundin Penny, Malcolm Quinnten Henry besticht als quirliger Seaweed mit prächtiger Soulstimme, genau wie Monica Lewis-Schmidt als seine Mutter Motormouth Maybelle. Eine Nummer für sich ist Maaike Schuurmans, die mit Grandezza den blonden Oberschichten-Vampir Velma von Tussle gibt.
Heiko Lippmann sorgt mit seinem elfköpfigen Orchester für Rhythmen, die in die Beine gehen, und einen tollen Sound. Der kommt einem zuweilen etwas laut vor, aber das mag am weiten, offenen Platz liegen. Die finale Überraschung mit der riesigen Haarspraydose als trojanisches Pferd gelingt nicht ganz so effektvoll wie auf einer flachen Bühne, aber dafür rockt die Schlussnummer „Niemand stoppt den Beat“ ganz Schwäbisch Hall, und mutmaßlich auch entferntere Ortschaften.
Musikalische Leitung: Heiko Lippmann • Regie: Christopher Tölle • Choreografie: Nigel Watson und Christopher Tölle • Ausstattung: Heike Seidler • Licht: Christof Gahle • Sounddesign: Simon Hüging • Mit: Daniela Tweesmann (Tracy Turnblad), Andrea Matthias Pagani (Edna Turnblad), Claudius Freyer (Wilbur Turnblad), Mirjam Wershofen (Penny Pingleton), Marco Toth (Corny Collins), Lucca Kleimann (Link Larkin), Maaike Schuurmans (Velma von Tussle), Katia Bischoff (Amber von Tussle), Monica Lewis-Schmidt (Motormouth Maybelle), Malcolm Quinnten Henry (Seaweed J. Stubbs) u.a. • Orchester der Freilichtspiele Schwäbisch Hall
Aufmacherfoto: Freilichtspiele Schwäbisch Hall/Ufuk Arslan