„Der kleine Horrorladen“ klassisch inszeniert
Seit über 40 Jahren wird die schräge Geschichte der fleischfressenden Pflanze rauf und runter gespielt in den deutschen Theatern, und eigentlich kann man den Klassiker nur schwerlich anders inszenieren, als er im Buche steht. Aber auch die Horrorfilm-Parodie mit ihrer bissigen Kapitalismuskritik ist vor dem Regietheater nicht sicher, das sich immer mal wieder ansatzweise darüber hermacht, was nicht unbedingt zum Schaden gereichen muss. Da wurden die drei Soulgirls zu Punks oder aufgetakelten Modepuppen, da war das Ganze nur ein Traum oder wurde so blutig wie „Sweeney Todd“. Zuweilen übernimmt ein Regisseur auch das Happy End aus der Musicalverfilmung von 1986, wo Seymour und Audrey die Pflanze tatsächlich besiegen.
Im Alten Schauspielhaus Stuttgart bleibt Klaus Seiffert – eine zuverlässige Größe für Musical-Inszenierungen und ein Regisseur, dem man bedenkenlos sein Lieblingsstück anvertrauen würde – gemeinsam mit Ausstatter Tom Grasshof hübsch bei der klassischen Version, was bedeutet: eine wasserstoffblonde Audrey im Leopardenfellkleid, ein Zahnarzt als Lederrocker, ein bebrillter Seymour im Pullunder. Seiffert setzt die Geschichte leichtfüßig und mit viel Liebe zum Detail in Szene, kitzelt jede Pointe in der sich steigernden Absurdität der Handlung heraus. Auch musikalisch macht der Abend hemmungslos Spaß: Die Produktion ist sängerisch bestens besetzt und Dirigent Florian Kießling zieht mit raffiniertem Rhythmusgefühl genau an den richtigen Stellen das Tempo der fünfköpfigen Band an.
Ob die drei Straßengören Crystal, Ronnette und Chiffon tatsächlich in so biederen Hausfrauenkleidchen stecken müssen, sei dahingestellt, jedenfalls fühlen wir uns direkt in die 1960er Jahre versetzt. Aswintha Vermeulen, Meimouna Coffi und Giselle Ramsey tragen mit ihren fröhlichen Kommentaren zu den schlimmsten Ereignissen genau jene Heiterkeit bei, die dieses Musical so frech und dezent anarchistisch macht. Mr. Mushniks sehr trauriger Blumenladen öffnet sich mittels der Drehbühne, die Verwandlungen laufen flott und das Design der Pflanze rechtfertigt tatsächlich das ganze Aufsehen, das sie auslöst: Nicht nur zieht sie in ihrer letzten, vierten Version die Opfer überraschend schnell in ihren Schlund hinein, sie strahlt inmitten samtweicher Tentakeln genau jene geheimnisvolle Schönheit aus, mit der sie von Anfang an die Menschen fasziniert – die Oberfläche schimmert in Gelb- und Orangetönen, die Haifischzähne sind hinter schön geschwungenen, sinnlichen Monsterlippen verborgen. Figurenspieler Lukas Schneider und Sänger Mario Mariano (er ist auch für die flotten Tanzeinlagen verantwortlich) sind perfekt aufeinander abgestimmt, „Audrey Zwo“ agiert selbst als riesige Monsterblume unverschämt schnell und übergriffig.
Als Seymour bleibt Oliver Morschel anfangs ein wenig klischeehaft täppisch, schwingt sich aber mit einem leicht und schön gesungenen „Jetzt hast du Seymour“ zum romantischen Sympathieträger auf, glaubhaft verzweifelt über die weiteren Ereignisse. Dorothée Kahlers sinnliche, ein wenig scheue Audrey gönnt beim Lied vom Häuschen im Grünen nur einen kleinen Blick hinter die Fassade der verängstigten Sexbombe – stiller und inniger kann der Song tatsächlich zu Tränen rühren. Martin König macht als schmieriger Griesgram seine Mitmenschen so berechnend nieder, dass man seinem Mr. Mushnik den Tod in der Pflanze fast schon gönnt. Zum heimlichen Star des Abends mutiert Sven Olaf Denkinger in nahezu sämtlichen anderen Rollen des Stücks, vor allem als Zahnarzt: Er bebt vor Lust, wenn er den rostigen Bohrer liebkost, legt mit seiner Elvis-Frisur eine tolle Lachgas-Todesszene hin und huscht später in unzähligen Verkleidungen durch den Laden. Natürlich garantieren Alan Menkens eingängige Musik und Michael Kunzes brillante Übersetzung von Howard Ashmans Texten in einer so rasanten, liebevollen Umsetzung die Standing Ovations am Schluss.
Musikalische Leitung: Florian Kießling • Ausstattung: Tom Grasshof • Choreografie: Mario Mariano • Figurenbau: Christoph Kahlcke und Claudia Dreier • Mit: Oliver Morschel (Seymour), Dorothée Kahler (Audrey), Martin König (Mr. Mushnik), Sven Olaf Denkinger (Orin u.a.), Aswintha Vermeulen (Crystal), Meimouna Coffi (Ronnette), Giselle Ramsey (Chiffon), Lukas Schneider (Die Pflanze „Audrey Zwo“ – Figurenspiel), Mario Mariano (Die Pflanze „Audrey Zwo“ – Stimme) • Band (Keyboard, Reed, Gitarre, Bass, Drums)
Aufmacherfoto: Martin Sigmund