
„Priscilla“ setzt ein Zeichen für Toleranz
Für seinen „geradezu prophetischen Gedanken“, dieses Musical nach Tecklenburg zu holen, dankte der neue Intendant der Freilichtspiele seinem Vorgänger bei der Premierenfeier von „Priscilla“. Markus Söllner übernimmt nach über 30 Jahren die Geschäfte von Radulf Beuleke, der maßgeblich daran beteiligt war, Tecklenburg zu einem der bedeutendsten Sommermusical-Standorte Deutschlands zu machen.
„Priscilla“ erblickte 2006 in Sydney als Jukebox-Musical das Licht der Welt und beruht auf dem gleichnamigen Film von Stephan Elliott, der 1994 in die Kinos kam. Und ja, es mag abgedroschen klingen, doch schien es lange nicht mehr so wichtig zu sein wie heute, die Botschaft der Show laut in die Welt zu rufen: Egal, welche sexuelle Orientierung, ob Frau, Mann, trans* oder alles dazwischen, jede Person darf so sein und so leben, wie sie möchte. Wenn diese Botschaft zudem so gelungen verpackt ist, umso besser!
Erzählt wird die Geschichte von zwei Dragqueens, einer trans* Frau und ihrer Reise in einem alten Bus namens „Priscilla“ durch das australische Outback. Sie sind auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten und vor allem auf der Suche nach sich selbst. Das Buch bietet nur in Ansätzen Tiefe, sodass es Regisseur Ulrich Wickert obliegt, diese für die Figuren zu finden. Er sorgt immer wieder für rührende Momente, die umso mehr herausragen, wenn vorher und nachher buntes und lautes Treiben auf der Bühne herrscht.
Adrian Becker ist Tick, der als Dragqueen auftritt. Er will seinen Sohn kennenlernen und für ihn da sein; damit tut er seiner Exfrau einen Gefallen. Das Duett „Always On My Mind“ zwischen Tick und dem achtjährigen Sohn Benji (in dieser Vorstellung gespielt von David Schöchlin) ist dann auch der bewegendste Moment der Show.
Tobias Bieri spielt den jungen Adam. Fabienne Ank, verantwortlich für die fabelhaften Kostüme, die fast alle eine Geschichte erzählen, verzichtet bei Bieri auf allzu viel Stoff. Es gibt einen Moment in der Show, in der Adam fast von einer Horde besoffener Männer vergewaltigt wird – „weil er es so wollte“ … Auch hier hält die Geschichte inne und Bieri kann zeigen, dass auch er die nachdenklichen Momente beherrscht.
Eine Offenbarung ist Gerben Grimmius’ Darstellung der Bernadette. Diese alternde Trans-Drag-Diva hat Charaktertiefe und trotz spürbarer Schatten auf der Seele immer den festen Willen, eine perfekte Show abzuliefern. Nicht unerwähnt bleiben dürfen die drei Diven Rachel Marshall, Bettina Meske und Amber Schoop, die hier ihre Songs nicht einfach nur singen, sondern mit in die Figuren eintauchen, als wären sie ein Teil der Persönlichkeiten. Leider ist die neue Tonanlage auf der Burg immer noch ein wenig das Sorgenkind – gerade hier fehlt es an der Schlagkraft, die einen sonst in den Sitz drücken würde. Da wird hoffentlich noch nachgebessert.
Ein Star ist auch der dreigeteilte Bus, den Jens Janke entworfen hat. Von einer Seite zeigt er das Innenleben, in dem die drei Grazien zusammen durch Australien reisen. Meist, wenn sich der Bus dreht, kommen Darstellerinnen und Darsteller in Koala-, Panda- oder Spinnenkostümen auf die Bühne, um die Umbauten vorzunehmen – einer von vielen wunderbaren Einfällen.
In kleineren Rollen und mit starken Choreografien von Fransesc Abós steht ein über 30-köpfiges Ensemble auf der Bühne. Hervorzuheben sind u.a. Benjamin Eberling als sensibler Mechaniker Bob, Gülfidan Söylemez als Kindsmutter und Michael B. Sattler, der als „Miss Understanding“ ein fantastisches „What’s Love Got To Do With It“ hinlegt. Beim 17-köpfigen Orchester unter der Leitung von Giorgio Radoja ist am Premierenabend noch sehr viel Bass und Keyboard zu hören und leider zu wenig von den Streichern und Blasinstrumenten. Das wird sich sicherlich einspielen.
Musikalische Leitung: Giorgio Radoja • Regie und Licht: Ulrich Wiggers • Choreografie: Francesc Abós • Bühne: Jens Janke • Kostüme: Fabienne Ank • Mit: Adrian Becker (Tick), Gerben Grimmius (Bernadette), Tobias Bieri (Adam), Benjamin Eberling (Bob), Rachel Marshall (Diva), Bettina Meske (Diva), Amber Schoop (Diva), Gülfidan Söylemez (Marion), Michael B. Sattler (Miss Understanding), Til Ormeloh (Jimmy), Mathias Meffert (Frank), Giulia Fabris (Cynthia), Esther Larissa Lach (Shirley), Nicolai Schwab (Junge Bernadette), David Schöchlin (Benji) u.a. • Chor und Orchester der Freilichtspiele Tecklenburg
Aufmacherfoto: Daniel Lagerpusch