
„Walpurga“ zur Wiedereröffnung der frisch renovierten Harzer Naturbühne
Grandioser Blick über weites Land: Das Bergtheater Thale im Nordharz gehört seit 1903 zu den schönsten Freilicht-Kulturorten des Kontinents. Nach wechselvoller Geschichte und mehrjähriger Renovierung folgt nun die Wiedereröffnung, ausgestattet mit neuer Technik. Für den Spielbetrieb verantwortlich zeichnet die Bodetal Tourismus GmbH, in Kooperation mit dem Theater Fairytale.
Die Kernfrage: Wie den Start in die nächste Epoche mit Strahlkraft gestalten? Tradition und Moderne, lokaler Bezug und eine professionelle Aufmachung sollten es sein. Regionale Mythen und Märchen verweisen auf einen Tanzplatz für Hexen, der sich am Ort des Theaters befunden haben soll – damit stand der Plot. Ein Stück über die lange verfemten, verbannten, oft verbrannten Frauen wurde in Auftrag gegeben und Enrico Scheffler rasch als Autor und Komponist gefunden. Das Resultat „Walpurga“ ist ein Musical, das auf historischen Wurzeln fußt.
Zimperlich geht Scheffler mit dem Stoff nicht um. Gleich zum Auftakt landen die qua Folter meist geständigen Frauen im Fegefeuer oder werden enthauptet. Rund 50.000 verloren im Mittelalter auf so brutale Weise ihr Leben. Fast immer waren es Männer, die ihnen eine Tat zur Last legten, von Unzucht bis Missernte. Die vermeintlichen Übeltäterinnen galten als generalverantwortlich für jede Unbill der Zeit. Entsprechend trimmt Regisseur Ronny Große die Atmosphäre auf Sturmgeheul, wabernden Qualm und Feuer. Die Delinquentinnen endeten in der Brunst. Wahre Hexen allerdings überstanden das Feuer und erlebten putzmunter eine Wiederauferstehung, um fortan an geheimen Orten ihr Dasein zu fristen.
Eigentlich kein appetitlicher Stoff für nette Abendunterhaltung, doch „Walpurga“ streut immer wieder etwas Witz und Fantasy ein, um den düsteren Faden aufzulockern. Das gelingt Scheffler. Seine Musik, als Konserve eingespielt, verdichtet, illustriert, schafft Breitwand-Räume für Emotionen und aufgeladene Stimmungen, oft fast cineastisch, in den schönsten Momenten als Pop-Ballade, zum Beispiel in „Wohin will ich gehen“ oder „Schwarz oder Weiß“. Als musikalischer Leiter bringt Oliver Voigt alle Mitwirkenden auf sehr passable Tonspur.
Regisseur Ronny Große nutzt das Areal des Bergtheaters für pralle Massenszenen und intime Momente, er führt die Nebenschauplätze ins Lot und nutzt Lichteffekte. Gunnar Loose und Jerome Querfurth als Lichtdesigner lassen es blitzen und funkeln. Die Ausstattung von Tom Grasshoff und Dietmar Quasthoff besticht durch Projektionen, die Kostüme (Astrid Koch, Sandra und Carmen Zwicker) beschwören mittelalterliches Flair. Inhaltlich geht es um viel und einiges könnte wohl leicht gekürzt werden. Mephisto taucht auf, düstere Gesellen mit Amt und Würden, Hexenjäger und der Dämon, ein Amulett erweist sich als zentrales Element. Es wird deutlich: Auch Hexen sind nur Menschen, inklusive Zicken-Gewitter, Ranküne und Kreisch-Attacken. Die Handlung bleibt flüssig, obwohl die Dialoge der Stadtoberen etwas gekünstelt daherkommen.
„Walpurga“ lebt von wilden Tänzen und diabolischen Figuren. Intrigen, Liebe, Macht und Spiritualität treffen hier mit Verve aufeinander. Eine Menge Arbeit für Choreografin Eveline Gorter, die sie mit kreativem Schwung erledigt hat.
Das Ensemble führt Profis und Amateure zusammen. Keine leichte Aufgabe für Ronny Große, dem das Kunstwerk aber weitgehend gelingt. Manche überzeugen besonders: Senta-Sofia Delliponti in der Titelrolle, souverän im Gesang, Sebastian Rätzel als Dämon, der gruselige Mephisto von Klaus Heydenbluth, Lisa Maria Hörl als überdrehte Baba Jaga, die Watelinde von Julia Heiser. Eine Darstellerin verleiht der Aufführung betörende Grandezza, Glamour und Charisma: Musical-Legende Angelika Milster als Oberhexe Annerose. Bei ihr sitzt jede Geste, jeder Satz, der Song „Freisein“ gerät zum Show-Stopper.
Es gibt viel zu sehen an diesem teilweise verregneten Abend und etliches zu bestaunen, die Musik garantiert große Momente. Ein neues Kapitel für das Harzer Bergtheater Thale – und Begeisterung beim Uraufführungspublikum.
Musikalische Leitung: Oliver Voigt • Choreografie: Eveline Gorter • Bühne: Tom Grasshoff und Dietmar Quasthoff • Kostüme: Thomas Hanisch, Astrid Koch, Carmen Zwicker und Sandra Zwicker • Licht: Gunnar Loose und Jerome Querfurth • Sounddesign: André Sonnert • Mit: Senta-Sofia Delliponti (Walpurga), Angelika Milster (Roma Annerose Malifix), Sebastian Rätzel (Dämon), Klaus Heydenbluth (Mephisto), Lorenzo Pedrocchi (Hexenjäger), Julia Heiser (Watelinde), Fiorina Bogatu (Astoria), Eva Löser (Sibylle Marianne Silberling), Lisa Maria Hörl (Baba Jaga), Hanna Völkl (Märchenhexe), Alexander Karger (Alanus), Stefan Nagel (Hexenkommissar Valentin Reinhartz), Jens-Uwe Richter (Richter Georg Ahlbrink), Nico Alesi (Bürgermeister Caspar Linde), Thomas Picek (Bischof Ferdinand Heil) u.a. • Musik vom Band
Aufmacherfoto: Carsten Kammer