
„Sweeney Todd“ als blutig-schaurige Revue mit Spaßfaktor
Nebelschwaden wabern über die Bühne, eine Bettlerin klammert sich an einen halb verrotteten Kinderwagen, vollgepackt mit ihren Habseligkeiten. Düster gekleidete Gestalten schleichen durch die Szenerie und stimmen die schaurige Moritat vom blutrünstigen Barbier Sweeney Todd an. Der korrupte Richter Turpin spielte dem einst angesehenen Barbier übel mit: Er verführte dessen Ehefrau, entriss ihm seine Tochter und machte sie zu seinem Mündel – mit der Absicht, sie später selbst zu heiraten. Nach langer Verbannung kehrt Sweeney Todd nach London zurück, getrieben von Rache. Mit seinem Rasiermesser beseitigt er jeden, der sich ihm in den Weg stellt, und entwickelt gemeinsam mit seiner Komplizin, der Bäckerin Mrs. Lovett, ein grausiges Geschäftsmodell: Die Opfer werden zu Fleischpasteten verarbeitet – eine Delikatesse, die in London reißenden Absatz findet …
Die Legende um Sweeney Todd tauchte erstmals 1846 im viktorianischen London in einem sogenannten Dreigroschenroman auf. Seither wurde die Geschichte immer wieder neu interpretiert, eine der bekanntesten Adaptionen ist Stephen Sondheims Musical von 1979. Hier verschmelzen Horror und schwarzer Humor zu einer ebenso makabren wie faszinierenden Mischung: Atonale und dissonante Klänge schälen sich aus dem Orchestergraben, klingen oft rau aus den Kehlen der Sänger. Der düstere Grundton wird durch aufbrausende Orgelklänge verstärkt, während Leitmotive für die einzelnen Charaktere die opernhafte Dramatik unterstreichen. Vergeblich wartet das Publikum auf mitreißende Tanzszenen, stattdessen gibt es makabre Walzer. Bestes Beispiel dafür ist das Duett von Mrs. Lovett und Sweeney Todd, in dem sie sich beschwingt über die „Qualität“ der Zutaten ihrer Pasteten austauschen: Ein Prälat schmeckt doch wohl anders als ein Feuerwehrmann.
Die bitterbösen Texte werden in Linz durch die sorgfältige Regie und die originelle Choreografie von Simon Eichenberger perfekt in Szene gesetzt. Das finstere, aber äußerst funktionale Bühnenbild von Charles Quiggin sorgt für das nötige Ambiente: Der in luftiger Höhe schwebende Barbiersalon leuchtet nach jedem Mord gefährlich rot, während die Leichen in den Keller stürzen. Erst im zweiten Teil gewährt das Bühnenbild Einblick in dieses düstere Untergeschoss mitsamt riesigem Backofen und loderndem Feuer; dort ereignet sich schließlich der dramatische Showdown. Die Anzahl der Überlebenden ist gering. Am Ende muss der rachsüchtige Sweeney Todd erkennen, dass er in seinem blinden Wüten auch seine geliebte Frau getötet hat.
Max Niemeyer gibt einen zerbrechlichen Titelhelden, den die Rachsucht antreibt und der zugleich unaufhaltsam mit seinem Rasiermesser wütet. Zwar hat er nur wenige große Gesangsnummern, doch seine eindringlichen Szenen – besonders mit der stimmgewaltigen Daniela Dett als pastetenbackender Komplizin mit verbrecherischen Genen – hinterlassen Eindruck. Verschlagen, gewieft und mit viel schwarzem Humor verkörpert Dett eine Frau, die in bitteren Zeiten ums Überleben kämpft und dabei keine Skrupel kennt, weder in finanziellen noch in romantischen Angelegenheiten. Die Figur des Richters Turpin, von Karsten Kenzel solide dargestellt, hätte noch eine Spur mehr Bösartigkeit vertragen können – schließlich ist er der eigentliche Verursacher des ganzen Schlamassels. Die jugendlichen Liebenden, Anthony und Sweeneys Tochter Johanna, stehen in der zweiten Reihe, bewältigen ihre Rollen aber tadellos: Christian Fröhlich und Alexandra-Yoana Alexandrova überzeugen mit feinem Gesang. Das Trio der jüngeren Darsteller wird ergänzt durch Toby (Lukas Sandmann), der mit einigen eindrucksvollen Tönen heraussticht.
Das Bruckner Orchester unter der Leitung von Tom Bitterlich liefert solides musikalisches Handwerk. Und als sich schließlich die letzten Nebelschwaden aus dem Keller verziehen, ist das Morden vorbei – zur Erleichterung des motivierten Publikums.
Musikalische Leitung: Tom Bitterlich • Regie und Choreografie: Simon Eichenberger • Bühne: Charles Quiggin • Kostüme: Aleš Valášek • Licht: Michael Grundner • Chorleitung: Elena Pierini und David Alexander Barnard • Mit: Max Niemeyer (Sweeney Todd), Daniela Dett (Mrs. Lovett), Christian Fröhlich (Anthony Hope), Alexandra-Yoana Alexandrova (Johanna), Lukas Sandmann (Tobias), Karsten Kenzel (Richter Turpin), Enrico Treuse (Büttel Bamford), Sanne Mieloo (Bettlerin), Gernot Romic (Adolfo Pirelli), Kevin Arand (Ein Vogelhändler/Mr. Fogg) u.a. • Chor des Landestheaters Linz • Bruckner Orchester Linz
Aufmacherfoto: Barbara Pálffy