„Berlin Non Stop“ ist dem Sound der Großstadt auf der Spur
Drei Matrosen auf Landgang entdecken die große Stadt, bezirzt von jungen Frauen, verwirbelt durch lautstarkes Getöse und die verschlingenden Reizfluten der brodelnden Metropole. Leonard Bernstein schrieb darüber ein Musical, 1944, noch mitten im Krieg. Wie funktioniert der seinerzeit berauschende „On The Town“-Drive heute?
Dieser Frage gingen Komponist Thomas Zaufke und Buchautor Thomas Hermanns genauer auf den Grund. Von New York wechselten sie zunächst an die Spree und die eher brav-biederen Jungs von damals sind nun abenteuersüchtige Typen auf der Suche nach ungewohnten Erfahrungen und erotischen Kicks, Grenzüberschreitungen und queeren Verwicklungen. „Berlin Non Stop“ heißt das Resultat und erlebt im Pfefferberg Theater der Hauptstadt seine glänzend bestandene, mit prasselndem Beifall bedachte Feuertaufe.
Wie ihre Quasi-Vorbilder schmeißen sich auch Chris, Benni und Juan lebensgierig in den Sound der Großstadt: konkret Berlin, dem wildesten europäischen Party-Hotspot im Jahr 2010. Kurzzeitbegleiter werden ein isländisches IT-Girl mit maskulinem Zuschnitt, Taxifahrerin Helga und der leidenschaftlich entbrannte Barkeeper Max aus einem angesagten Schwulentreff. Die smarten Burschen aus Birmingham, Barcelona und dem arg provinziellen Bad Bevensen staksen durch die Untiefen der Stadt, landen in einer Trash-Location, einer Kebab-Bude und einer schicken Galerie, stranden gänzlich unfreiwillig in der Charité und eindeutig gewünschter im Berghain. Mittendrin sorgt Frau Berlin für Ruhepole, fließende Übergänge oder Starthilfe für den nächsten Point of no Return: als Infodame am Flughafen, polnische Imbissbesitzern, Drag-Queen und Kunstexpertin im flotten Wechsel. Bettina Meske kostet diese Melange verschiedener Typen zwischen ruppig und schmusig, abweisend, alert und einladend in sämtlichen Facetten hinreißend aus.
Überhaupt ist die Cast vom Feinsten. Oliver Edward (Chris), Markus Fetter (Benni) und Manuel Lopez (Juan) sind junge Touristen, die mit eigenen Tabus brechen und dabei die tollsten Entdeckungen erleben – und das auch noch im multilingualen Zuschnitt. Jan Nicolas Bastel hat sich eine bewegungsintensive, das hitzige Geschehen wunderbar garnierende Choreografie ausgedacht und spielt außerdem als Max mit den schönsten Schwulen-Klischees, während Stefanie Dietrich als pralle Chauffeurin beeindruckt und Lukas (Lucii) Sandmann als Isa weit mehr als nordisch spröden Charme versprüht. Das Bühnenbild von Ariane Stamatescu fängt mit sparsamen Mitteln die rasch wechselnden Schauplätze und Stimmungen geschickt ein, Kemal Klempic verpasst dem Ensemble das jeweils perfekt sitzende Outfit in der angesagten Mode von 2010.
Thomas Hermanns Buch spaziert mit klug gewitzten Texten durch „Roaring Berlin“, gönnt wenig Atempausen und bringt die Stationen der drei Besucher punktgenau zur Sprache. Die Musik von Musical-Routinier Thomas Zaufke mixt höchst wirkungsvoll Poprock mit EDM, Euro-Trash und Love Songs, gibt dem Klang der Metropole einen ansteckenden Beat und findet immer den richtigen Ton, um Momente zwischen Sehnsucht und Verlorensein, amourösem Kitzel und Kater-Blues in schönster Lautmalerei auszuleuchten. „Bad Taste Baby“, „Poster Boy“, „Small Town Paranoia“, „Paradise On Overdrive“ oder die Ballade „Magic Carpet Night“ markieren die Höhepunkte, von Damian Omansen und seiner Band gefühlsintensiv interpretiert. Regisseur Fabian Gerhardt spinnt aus den Handlungsfäden eine spannende, überdrehte, authentisch wirkende Geschichte. Er entwickelt Szenen, die auch nach Tiefe suchen und dem Stück einige Substanz verleihen.
„Berlin Non Stop“ stimmt eine moderne Hymne auf die Stadt an, sprudelnd und glitzernd, bisweilen etwas schroff und meistens herzlich, bestens unterhaltend in jedem Fall. So geht Musical mit Chance auf breite Aufmerksamkeit, vielleicht gar über Deutschland hinaus. Das Uraufführungspublikum jubelt.
Musikalische Leitung: Damian Omansen • Choreografie: Jan Nicolas Bastel • Bühne: Ariane Stamatescu • Kostüme: Kemal Klempic • Licht: Oliver Lesky • Sounddesign: Jonathan Richter • Mit: Oliver Edward (Chris), Markus Fetter (Benni), Manuel Lopez (Juan), Jan Nicolas Bastel (Max), Stefanie Dietrich (Helga), Lukas (Lucii) Sandmann (Isa), Bettina Meske (Frau Berlin)
Aufmacherfoto: th-entertainment/Volkmar H. Otto