Sweeney Todd 2 Foto c Bernd Schoenberger 1 | MUSICAL TODAY

Sweeney Todd

Dicht an der Gegenwart

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Staatstheater Cottbus
von
Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte)
Hugh Wheeler (Buch)
Regie
Cordula Däuper
Uraufführung
1979

„Sweeney Todd“ als großartige Analyse menschlicher Tiefen

„Sweeney Todd“ gehört zu den großen Erfolgen des Ausnahmekünstlers Stephen Sondheim. Es ist sein erstes durchkomponiertes Werk mit großer Eigenständigkeit von Gesang und Orchester. Entscheidend für das 1979 mit dem Tony und dem New York Drama Critics’ Circle Award ausgezeichnete Musical ist jedoch die Handlung, denn das hatte bis dato auch der Broadway noch nicht gesehen: eine auf dem Theater erzählte Schauergeschichte, die in der Tradition des Grand Guignol mit übertriebenen Mitteln dargestellt wird.

Die Gegenüberstellung von Gut und Böse trifft auf den typisch englischen schwarzen Humor. Nach 15 Jahren Verbannung kommt der Barbier Benjamin Barker unter dem Namen Sweeney Todd nach London zurück. Sein Ziel ist es nun, Rache zu nehmen – Rache an dem Mann, der vor Jahren seine Frau vergewaltigte, die daraufhin Gift nahm: Rache an Richter Turpin. Todd mietet sich in der Fleet Street über der schlecht gehenden Pastetenbäckerei von Mrs. Lovett ein. Die redselige Frau erzählt ihm u.a. die Geschichte des Vormieters Benjamin Barker. Durch Todds emotionale Reaktion erkennt sie sofort, dass Barker und Todd ein und dieselbe Person sind. Die Spirale von Hass und Gewalt, Elend und Glück setzt sich langsam in Bewegung …

Am Staatstheater Cottbus setzt Cordula Däuper Sondheims Musical-Thriller in Szene und holt die Schauergeschichte auch optisch dicht an die Gegenwart. Gemeinsam mit Bühnenbildner Pascal Seibicke und Kostümbildnerin Sophie du Vinage zeigt sie eine Welt im Chaos. Sämtliche Spielorte sind gleichzeitig sichtbar. Die Grundstimmung ist düster, die Kostüme zeigen einen wilden Mix von Tüll bis zu legerer Alltagskleidung, alles wirkt ein bisschen „angeranzt“. Regie, Kostüme und Bühnenbild folgen den Intentionen von Sondheims vielschichtiger Partitur. Die musikalischen Assoziationen reichen von „The Rake’s Progress“ bis zur „Dreigroschenoper“ und bieten zumindest für einen Teil des Publikums den Reiz der musikalischen Wiedererkennung.

Däuper macht aus dem schwarzhumorigen Spektakel eine großartige Analyse menschlicher Tiefen. Das ist in erster Linie Nils Stäfe als Todd und Gesine Forberger als Mrs. Lovett zu danken. Stäfe ist nicht nur der Rächer, der sich in den Wahnsinn steigert, er ist auch sehr glaubhaft der ohne Schuld Leidende. Regie und Darsteller zeigen hier einen Sweeney Todd, der letztendlich an den Verhältnissen scheitert. Mit Mrs. Lovett wird gewissermaßen der Gegenentwurf geliefert: Gesine Forberger ist schlicht großartig. Sie wittert ihre Chance, als Todd das erste Mal ihren Laden betritt. Während er sich in den Rachewahnsinn steigert, ist sie ganz die kalkulierende Geschäftsfrau, die dann auch die zündende Idee hat. Das Geschäft floriert: Während unten die besten Pasteten Londons verkauft werden, verschwinden oben beim Barbier die Kunden. Als erster der Pseudo-Italiener Pirelli, der Todd von früher wiedererkennt: Hardy Brachmann zeigt den erpresserischen ehemaligen Barbiergehilfen von Barker mit ausdrucksstarkem Können.

Die Person, die eigentlich die Handlung mit auslöst, steht im Stück eher am Rand: Die Bettlerin gibt bis zum Schluss wenig von ihrer Figur preis und macht damit diesen Thriller erst möglich. Zela Corina Caliţa zeigt sie wie eine mystische Erscheinung. Die Abhängigkeiten sind perfekt, wäre da nicht die einzige Aufgabe, für die Todd sein schauriges Geschäft aufgenommen hat: der Tod von Richter Turpin. Hier verlässt die rasant kantige Inszenierung leider ihre Leitplanke und wird behäbig, denn Andreas Jäpel als Turpin und Dirk Kleinke als Büttel Bamford wirken eher wie ein Buffopaar – man nimmt ihnen die Kaltherzigkeit nicht ab. Wie zerbrechlich zart erscheint dagegen Anne Martha Schuitemaker als Johanna, Mündel von Turpin, der sie gern zur Frau hätte. Als Anthony Hope, der mit Todd an Land geht, ist John Ji eher ein pubertierender Knabe als der Liebhaber von Johanna.

Beeindruckend singt der Chor in der Einstudierung von Christian Möbius. Johannes Zurl hat die musikalische Verantwortung des Abends, er führt das Philharmonische Orchester stilsicher durch die anspruchsvolle Partitur und ist gleichzeitig darauf bedacht, dem Sänger-Ensemble den nötigen Raum zur Textverständlichkeit zu geben.


Musikalische Leitung: Johannes Zurl • Bühne: Pascal Seibicke • Kostüme: Sophie du Vinage • Mit: Nils Stäfe (Sweeney Todd), Gesine Forberger (Mrs. Lovett), John Ji (Anthony Hope), Andreas Jäpel (Richter Turpin), Anne Martha Schuitemaker (Johanna), Dirk Kleinke (Büttel Bamford), Zela Corina Caliţa (Die Bettlerin), Hardy Brachmann (Pirelli), Manuel Ried (Tobias), Thorsten Coers (Mr. Fogg) u.a. • Opernchor und Philharmonisches Orchester des Staatstheaters Cottbus

Aufmacherfoto: Bernd Schönberger

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