
„Hallo, Dolly!“ leichtfüßig, schmissig und turbulent in Szene gesetzt
Dem Musical-Liebhaber die Qualitäten von „Hallo, Dolly!“ zu erklären, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Denn das 1964 am Broadway uraufgeführte Musical gehört mit seinen damals 2.844 Vorstellungen und dem anschließenden Welterfolg zu den ganz Großen des Genres. Daran änderte auch die an den Kassen gefloppte Verfilmung (1969) nichts. Das war weniger der „genialsten Fehlbesetzung aller Zeiten“ mit der viel zu jungen Barbra Streisand in der Titelrolle geschuldet, noch dem – nach „Toll trieben es die alten Römer“ (1965) – sich zum zweiten Mal in einer Musical-Rolle versuchenden, englischen Fernseh- und Bühnenstar Michael Crawford als Cornelius Hackl. Dass dieser später im „Phantom der Oper“ Musicalgeschichte schreiben sollte, war da noch nicht zu hören, geschweige denn zu ahnen. Die Zeit für aufwändige, quietschvergnügte Ausstattungsfilme war einfach vorbei. Vor dem Hintergrund weltweiter Revolten eroberte nun das New-Hollywood-Kino mit Sex, Drugs and Rock’n’Roll die Leinwände der Welt …
Auf deren großen, aber auch kleinen Bühnen setzte „Hallo, Dolly!“ derweil unverdrossen seinen Siegeszug fort – und begeistert nun bei den Burgfestspielen in Bad Vilbel sein treues Publikum. Annette Lubosch, die im letzten Jahr hier noch in dem Musical „Tootsie“ auf der Bühne stand, ist diesmal auf den Regiestuhl gewechselt und bildet mit dem musikalischen Leiter Jochen Kilian, Choreografin Stefanie Schwendy, Bühnenbildnerin Valerie Lutz und Kostümbildnerin Cosima Wanda Winter ein Kreativteam, das die Vorlage von Jerry Herman (Musik und Liedtexte) und Michael Stewart (Buch) Vorlage kongenial umsetzt.
Und schon nimmt die jedem Boulevardstück Ehre machende Geschichte ihren Lauf: Die verwitwete Heiratsvermittlerin Dolly (Sonja Herrmann) will den Malermeister Horace (Matthias Schuppli) mit der Putzmacherin Irene (Julia Steingaß) verkuppeln. Der macht sich daraufhin auf den Weg nach New York, heimlich gefolgt von seinem Gesellen Cornelius (Sascha Stead) und seinem Lehrling Barnaby (Alexander Plein), die endlich mal ein Mädchen küssen wollen. Zufällig treffen sie auf Irene und deren Angestellte Minnie (Alice Veronese) – mit denen sie schließlich im Edel-Restaurant „Harmonia Gardens“ landen. Dort treffen sie auf Dolly, ihren Chef Horace, dessen Nichte Ermengarde (Rita Correira) samt deren Künstler-Verlobtem Ambrose (Lukas Schwedeck) und die angebliche Millionärserbin Ernestina (Annemarie Purkert), die als eventueller „Ersatz“ für Irene fungieren soll. Aber eigentlich hat Dolly selbst ein Auge auf den Geizkragen Horace geworfen …
Der richtige Stoff für turbulente Verwicklungen und Missverständnisse, die Dolly noch forciert: „Geh du deine Wege, und ich geh meine Wege“, sagt sie zu Horace und zeigt dabei mit ihren Armen in die gleiche Richtung. Auch das klug ausgedachte Bühnenbild – drei überdimensionale Uhren-Ziffernblätter – wird intelligent in das Chaos einbezogen: Umgedreht dienen sie als Kellereingang zu Horaces Farbenlager, als Irenes Hutladen oder als Separees im „Harmonia Gardens“. Und natürlich als „Show“-Treppe, die unsere gewiefte Beraterin in allen Lebenslagen hinunterschreitet: „Hallo, Dolly!“ wird sie von ihrem Lieblingskellner Rudi (Thijs Snoek) und seiner Crew singend und tanzend gefeiert. Sonja Herrmann strahlt dabei jenes Charisma aus, dass man sich liebend gerne in ihre Vermittler-Arme stürzen würde.
Das gilt für das ganze, vom Bad Vilbeler BelVoce-Chor mit viel Enthusiasmus unterstützte Ensemble, das gesanglich, schauspielerisch und tänzerisch keine Wünsche offenlässt. Durch das präzise Komödien-Timing der Regie gelingt es ihnen, ihre Charaktere glaubhaft zum Leben zu erwecken, die leichtfüßigen Choreografien lassen sie alle förmlich über die Bühne schweben. Als Sahnehäubchen obendrauf gibt es die schmissig arrangierten Melodien von Jerry Herman, die einem gar nicht mehr aus dem Ohr gehen wollen.
Musikalische Leitung: Jochen Kilian • Choreografie: Stefanie Schwendy • Bühne: Valerie Lutz • Kostüme: Cosima Wanda Winter • Mit: Mit Sonja Herrmann (Mrs. Dolly Gallagher Levi), Matthias Schuppli (Horace Vandergelder), Sascha Stead (Cornelius Hackl), Alexander Plein (Barnaby Tucker), Julia Steingaß (Irene Molloy), Alice Veronese (Minnie Fay), Lukas Schwedeck (Ambrose Kemper/Louie), Rita Correia (Ermengarde/Hanley), Thijs Snoek (Rudolph/Richter), Annemarie Purkert (Ernestina) , Silvia Hofmann (Mrs. Rose), Bastiaan Louis (Harry), Zakaria Fleury (Manny/Ein Handwerker), Esmee Mardjan (Stanley), Antonia Wortberg (Danny/Polizistin) • Chor BelVoce
Aufmacherfoto: Eugen Sommer