
Pomp and Circumstance für „Jesus Christ Superstar“
Aufstieg und Fall einer Person, die seit zwei Jahrtausenden unzählige Menschen in ihren Bann zieht, bis heute. Darüber berichtet das Neue Testament der Bibel ausführlich, stellt Jesus von Nazareth ins Zentrum einer Theologie. Ist dieser Figur nahezukommen, ohne sie plump zu heroisieren oder gar als Nippes zu degradieren? Andrew Lloyd Webber und sein Librettist Tim Rice haben es 1971 mit Fortüne probiert und entlang der historischen Texte eine Rock-Oper entwickelt, die zum Welterfolg avancierte.
Bei der diesjährigen Eröffnungspremiere der Komischen Oper Berlin versucht Regisseur Andreas Homoki in einer höchst opulenten Inszenierung im Hangar 4 des ehemaligen Flughafens Tempelhof, die Essenz aus „Jesus Christ Superstar“ zu destillieren: ein Mann, zerrissen zwischen persönlichen Bedürfnissen, seiner Mission und der monströsen Erwartungshaltung seiner Anhänger, zerrieben von Rivalitäten und einem diktatorischen Regime. Mehrere hundert Mitwirkende tummeln sich auf der riesigen Spielfläche des ehemaligen Nazi-Airports und bemühen sich auch um intimere Momente. Eine Herkules-Aufgabe, die das Publikum am Ende mit Ovationen als glänzend bestanden deklariert.
Optisch fasziniert die Aufführung vor allem durch ein raffiniertes Beleuchtungskonzept. Olaf Freese und Florian Schmitt lassen es funkeln und strahlen, installieren Lichtdome und verdichten mit wenigen Spots die wenigen Kammerszenen. Das hat fulminante Wirkung.
Die Musik verantwortet Koen Schoots, der mit dem Orchester der Komischen Oper und einer ins Zentrum gerückten, kostümierten Rockband einen knalligen, wuchtigen, dröhnend vitalen Sound entfacht, der im ersten Teil allerdings die Solistinnen und Solisten erheblich überdeckt. Mit dieser Partitur zeigte sich Andrew Lloyd Webber auf dem Zenit der damaligen Zeit und schuf ein Werk für die Ewigkeit, jenseits modischer Geschmäcker. In den Songs liegt gewiss die prallste Energie dieses vermusicalisierten Oratoriums.
Regisseur Andreas Homoki, zuletzt Intendant der Züricher Oper, verdichtet das Geschehen, ohne Pause schnurrt die im englischen Original gespielte Handlung ab. Er setzt auf kraftvolle, emotional aufgeladene Bilder. Das äußerst karge, auf ein illuminiertes Kreuz konzentrierte Bühnenbild von Philipp Stölzl fokussiert einen herausragenden Aspekt der christlichen Botschaft. Allerdings findet der Vollzug des Urteils realiter gar nicht statt. Jesus wird als ikonisierte Prozessionsstatue mit rosa Perücke und quietschig grellem Outfit nach Golgatha getragen, flankiert von Konfetti-Regen: eine Kitsch-Orgie. Die markanten letzten Worte singt er auf der Showtreppe. Ansonsten lenkt Homoki seinen Blick auf den zaudernden Pontius Pilatus, von Kevin(a) Taylor im goldenen Operetten-Look zelebriert, den charismatischen Sasha Di Capri als Verräter Judas, den androgyn schillernden Herodes von Jörn-Felix Alt sowie die großartige Ilay Bal Arslan als hingebungsvolle Maria Magdalena.
In Berlin kann „Jesus Christ Superstar“ kaum Tiefe gewinnen, das Stück präsentiert sich eher als bebildertes, mit fantasievollen Kostümen (Frank Wilde) ausgestattetes Rockkonzert und kann damit punkten. Der choreografierte, zumeist mit Laien besetzte Massenchor wird von Sommer Ulrickson mit gereckten und schwankenden Armbewegungen zu einem oft wiederholten Ausdruck zwischen tranceartiger Zuneigung und skandierter Ablehnung geführt, erscheint aber eher handzahm. Wirklich berühren kann das nicht. John Arthur Greene als Jesus tariert mit voluminöser Stimme die Ambivalenz der Titelfigur aus. Sein Jesus zeigt überzeugend zutiefst menschliche Züge, innere Wärme, ebenso Ohnmacht, Widerstand, Mut.
Eine insgesamt famos besetzte Produktion, ungeheuer temporeich, sehr kompakt, enorm effektheischend und oft plakativ und musikalisch packend. In Bezug auf die Anzahl der Ausführenden türmt sich hier ein Superlativ: Pomp and Circumstance im Flughafen-Hangar bringen die Zuschauer zum Jubeln.
Musikalische Leitung: Koen Schoots • Regie: Andreas Homoki • Choreografie: Sommer Ulrickson • Bühne: Philipp Stölzl und Franziska Harm • Kostüme: Frank Wilde • Licht: Olaf Freese und Florian Schmitt • Sounddesign: Holger Schwark • Chöre: David Cavelius • Mit: John Arthur Greene (Jesus von Nazareth), Sasha di Capri (Judas Ischariot), Ilay Bal Arslan (Maria Magdalena), Kevin(a) Taylor (Pontius Pilatus), Daniel Dodd-Ellis (Kajaphas), Michael Nigro (Hannas), Oedo Kuipers (Petrus), Dante Sáenz (Simon Zelotes), Jörn-Felix Alt (König Herodes) • Projekt-Tanzensemble, Chor, Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper Berlin
Aufmacherfoto: Jan Windszus Photography