
„Wasserwelt“ plätschert 70 spannungsarme Minuten vor sich hin
Ein Bakterium, ein Röhrenwurm, eine Muschel und ein Krebs. Sie leben friedlich zusammen in 4.000 Metern Meerestiefe. Der große weiße Seestern in der Mitte der Drehbühne wird zur Wohnlandschaft, in der man chillt. Zwischen dem flankierenden Delfin und der Qualle herrscht Harmonie. Symbiose heißt das Zauberwort.
Ein ungewöhnliches Setting haben Autor Jan Eichberg und Regisseur Felix Rothenhäusler für ihr Musical „Wasserwelt“ gewählt, das letztes Jahr am Theater Bremen seine Uraufführung erlebte und nun die Spielzeit am Theater Freiburg unter der neuen Intendanz Rothenhäuslers eröffnet. Zumindest in den Kostümen von Katharina Pia Schütz (auch Bühne) sind noch Spuren von Musical-Glamour vorhanden. Das Bakterium (Andy Zondag) trägt goldenes Haar, der Krebs (Jorid Lukaczik) überlange Augenwimpern.
„Wasserwelt“ ist aber eher ein Antimusical, ein am Ende doch sehr bemüht wirkendes, ironisch gebrochenes Spiel mit der Gattung. Der symphonische Synthiekitsch-Sound von Jo Flüeler und Moritz Widrig ist genauso vorproduziert wie der Playback-Gesang aller Beteiligten. Kein Hauch von Groove ist zu spüren. Es fehlen Tempo und Theatralik, Überraschungsmomente und Zuspitzungen. Die Drehbühne wird zur ermüdenden Dauerschleife. Die allgegenwärtige Stimme des Ozeans aus dem Off sorgt auch nicht gerade für Spannung. Selbst Handlung und Dialoge bleiben in der Tiefsee seicht.
Worum geht es? Der Krebs Nat wird vom Licht eines Tauchroboters inspiriert und verlässt seine harmonische, dunkle Tiefsee-Community. Beim Auftauchen gerät das Krebslein an Fressfeinde, singende Wale und Plastikmüll. Im Forschungsschiff wird darüber gestritten, ob es gekocht oder seziert werden soll. Nat findet in dem siebenjährigen Kind Lio die Liebe – er selbst ist mit seinen sieben Jahren allerdings schon am Ende des Lebens angekommen und kehrt zum Sterben in die Tiefsee zurück. „Das ist der Gang der Natur“, erklärt der Ozean. Und „Wasserwelt“ plätschert seinem undramatischen Ende entgegen. Eine begleitende Ausstellung des Bremer Forschungszentrums Marum zeigt im oberen Foyer des Freiburger Theaters Unterwasseraufnahmen, die die Autoren zu dem Stück inspiriert haben.
Musikalisch beginnt der Abend nicht ohne Witz mit dem polyphon aufgefächerten Chor „Wir sind ein gutes Team“, der die Good Vibrations unter Wasser beschreibt. „Ein kleiner Krebs will hoch hinaus“ singt Jorid Lukaczik mit leicht angerauter Stimme und guter Intonation – beziehungsweise bewegt synchron ihre Lippen dazu. Wie überhaupt das Ensemble das Playback perfekt umsetzt. Auch Stefanie Mrachacz als Schwarze Raucherin und so dominante wie coole Chefin der Tiefe, Lara Amelie Sauer (Muschel/Anglerfisch), Siegfried W. Maschek als sonor klingender Blauwal und Matthieu Svetchine als verliebtes Zweibeinerkind mit quengelnden „Mama“-Rufen haben Präsenz und Stimme. Die nach 20 Jahren ans Freiburger Theater zurückgekehrte Nadine Geyersbach sorgt als Dr. Claire zwischen Helikoptermutter und von Ehrgeiz und Eitelkeit besessener Forscherin für ein bisschen mehr Dampf im „Wasserwelt“- Whirlpool. Und Sätze wie „Ich hab’ ja nur eine Zelle. Ich muss glauben, was man mir sagt“ sorgen zumindest temporär für ein Grinsen.
Der Einführungstext schwärmt von „atmosphärischen Klangwelten und hitverdächtigen Songs“ (von denen allerdings wenig zu hören ist). Und betont die bewusst gewählte „installative Statuenhaftigkeit“ sowie den „Verzicht aufs Rumgehopse“. Natürlich kann solch ein Zugang überraschen, das Genre öffnen und Musical-Erwartungen erst einmal ins Leere laufen lassen. Aber für einen ganzen Abend ist das viel zu wenig, auch wenn er im Kleinen Haus des Freiburger Theaters nur 70 Minuten dauert.
Regie: Felix Rothenhäusler • Choreografische Mitarbeit: Andy Zondag • Ausstattung: Katharina Pia Schütz • Licht: Daniel Thaden und Wilfried Hoffmann • Sounddesign: Sven Hofmann • Mit: Andy Zondag (Bakterium/Anglerfisch/Sturm), Stefanie Mrachacz (Schwarze Raucherin), Nadine Geyersbach (Röhrenwurm/Dr. Claire), Lara Amelie Sauer (Muschel/Anglerfisch), Jorid Lukaczik (Der kleine Krebs Nat), Siegfried W. Maschek (Bakterium/Blauwal/Koch), Matthieu Svetchine (Bakterium/Zweibeinerkind Lio)
Aufmacherfoto: Philip Frowein