Das Licht auf der Piazza 008 | MUSICAL TODAY

Das Licht auf der Piazza

Outsider in goldenem Licht

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Venue
Musiktheater im Revier
by
Adam Guettel (Musik und Liedtexte)
Craig Lucas (Buch)
Roman Hinze (Deutsche Fassung)
Direction
Carsten Kirchmeier
World premiere
2003

„Das Licht auf der Piazza“ glänzt in allen Punkten

In dieser Spielzeit ist „Das Licht auf der Piazza“, ein Kooperationsprojekt des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier und der Oper Wuppertal, beiderorts zu sehen. Das leider selten produzierte Stück ist musikalisch mit den Liedern von Adam Guettel nahe bei der Operette angesiedelt. Es basiert auf einem Buch von Craig Lucas, das sich wiederum der gleichnamigen Novelle von Elizabeth Spencer als Vorlage bedient. Die Inszenierung macht das Thema Inklusion auf Augenhöhe künstlerisch sichtbar.

Clara erlitt als Kind ein Schädelhirntrauma. Dies führte zu einer sekundären Entwicklungsstörung. Kognitiv und emotional würde sie nie reifen, so die Ärzte. In den 1950er Jahren, in denen das Stück spielt, gilt die inzwischen 26-Jährige als „behindert“. Gerade die elterlichen Figuren reden schamvoll um diesen sinnbildlichen „rosa Elefanten im Raum“ herum, der doch nicht benannt werden darf. Ihre Mutter Margaret reist mit ihr nach Florenz, dort nahm die Liebe von Claras Eltern einst ihren Anfang. Auf der Piazza begegnet Clara Fabrizio. Es ist Liebe auf den ersten Blick! Margaret versucht, ihre Tochter vor einer Enttäuschung zu bewahren und lenkt immer wieder von den Annäherungsversuchen ab. Doch Fabrizio und seine Familie lassen nicht locker. Schließlich hält er um Claras Hand an. Die junge Frau besteht darauf, selbst über ihr Leben zu entscheiden.

Erst in den frühen 2000er Jahren wurden in Deutschland gesetzliche Grundlagen für Inklusion geschaffen. Dass das Stück erstmalig 2003 auf die Bühne gebracht wurde, entspricht der gesellschaftlichen Entwicklung jener Zeit. Endlich beginnt die Gesellschaft umzudenken. In den 1950er Jahren war man noch nicht so weit: Margarets Sorge, Clara könnte mit einer Ehe überfordert sein und unglücklich werden, wird durch Claras Entwicklung widerlegt: In der Fremde wächst sie über sich hinaus und führt ihrer Mutter vor Augen, dass deren eigene Liebe auf der Strecke geblieben ist. Die Mutter muss umdenken und ihre Tochter loslassen, um sie nicht zu verlieren.

Carsten Kirchmeiers Inszenierung nähert sich dem Stoff behutsam, ohne zu vereinfachen oder ins Sentimentale abzugleiten. Es entstehen humorvolle Momente, die vor allem auf Kosten der konservativen und schuldbewussten Mutter gehen. Anke Sieloff gestaltet die Protagonistin durch feine Akzente: Hinter anfänglicher Strenge kommt eine berührende Verletzlichkeit zum Vorschein. Stimmlich trifft Sieloff zuverlässig auf den Punkt. Katherine Allen zeigt Clara mit wohldosierter Unsicherheit in Ausdruck und Motorik. Ihr Gesang klingt klar und zunächst sanft, der Entwicklung ihrer Figur entsprechend jedoch immer kraftvoller. Luc Steegers verkörpert Fabrizio lebensfroh, etwas ungeschickt und durchweg liebenswert. Sein kraftvoller Tenor bildet einen reizvollen Kontrast zu seiner sanften Figurenzeichnung. Allen und Steegers harmonieren ausgesprochen gut. Auch das übrige Ensemble ist bis in die kleinste Rolle stark besetzt.

Unter der musikalischen Leitung von Mateo Peñaloza Cecconi erklingen aus dem Orchestergraben die großen Melodien Guettels mit Kraft und Präzision. Die deutschen und italienischen Songtexte werden via Übertitel eingeblendet. Das Bühnenbild von Julia Schnittger ist eindrucksvoll und ausgesprochen ästhetisch: Goldene Rahmen schweben vom Bühnenhimmel herab, zeigen Florentiner Gassen und bilden imaginäre Beziehungsräume. Die Bühne ist meist in goldenes Licht getaucht. In Konfliktmomenten bricht kühles, hartes Licht bewusst die warme Atmosphäre auf. Die Kostüme von Hedi Mohr greifen mit wunderschönen weiten Tellerröcken und klaren Linien die Mode der 1950er Jahre auf. Die Inszenierung erzählt, wie es früher war – und zeigt auf, wie es heute nicht mehr sein sollte, ohne dabei anzuklagen, zu belehren oder bloßzustellen.


Musikalische Leitung: Mateo Peñaloza Cecconi • Regie: Carsten Kirchmeier • Choreografie: Tenald Zace • Bühne: Julia Schnittger • Kostüme: Hedi Mohr • Licht: Thomas Ratzinger • Sounddesign: Dirk Lansing • Mit: Anke Sieloff (Margaret Johnson), Katherine Allen (Clara), Luc Steegers (Fabrizio Naccarelli), Patrick Imhof (Signor Naccarelli), Elpiniki Zervou (Signora Naccarelli), Rebecca Davis (Franca Naccarelli), Sebastian Schiller (Giuseppe Naccarelli), Klaus Brantzen (Roy Johnson), Maksim Andreenkov (Padre), Beatrice Boca (Reiseleiterin) • Statisterie des Musiktheaters im Revier • Neue Philharmonie Westfalen

Aufmacherfoto: Pedro Malinowski

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