Presse La Cage 10 | MUSICAL TODAY

La Cage aux Folles

Männer in den letzten Spätsommertagen

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Venue
Theater Kiel
by
Jerry Herman (Musik und Liedtexte)
Harvey Fierstein (Buch)
Direction
Bernd Mottl
World premiere
1983

„La Cage aux Folles“ hat reichlich Staub angesetzt

Nun hat der bekannteste aller Dragqueen-Clubs also auch in Kiel seine Pforten geöffnet. An zahlreichen Theatern im deutschsprachigen Raum steht in dieser Saison der Musical-Klassiker „La Cage aux Folles“ auf dem Spielplan, sorgt für Glitzer, Glamour, Nostalgie im Narrenkäfig – und in der Regel auch für gute Zahlen in der Abrechnung. Und sonst? Nun, da ließe sich in Zeiten wie diesen manch eigene Note oder besonderer Akzent setzen in diesem Spiel um ein buntes und schillerndes Leben, vielleicht sogar eine politische Note ob zunehmend fehlender Toleranz quer durch alle Gruppen der Gesellschaft. Mag offen gelebte Homosexualität auch heute politisch kein solch umstrittenes Thema mehr sein wie 1983 bei der Uraufführung des Musicals von Jerry Herman und Harvey Fierstein, in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist dieser „Käfig voller Narren“ noch längst nicht – und nicht nur im Russland Putins und im Ungarn Orbáns stehen Homosexuelle mehr denn je unter Druck.

Doch Regisseur Bernd Mottl interessieren der politische Hintergrund wie auch die gesellschaftliche Sprengkraft des ursprünglichen Boulevardtheaterstücks aus dem Jahr 1973 herzlich wenig und Aktualisierungen schon gar nicht, er schwelgt stattdessen mit seinem Kostümbildner Frank Lichtenberg in einem Farbrausch voller Glitter, Gold und Glanz. Dazu hat Friedrich Eggert eine – nomen est omen – mit Glühlampen markierte Käfigbühne kreiert, die die Perspektiv- und Szenenwechsel erleichtert. Leider lediglich die optischen, denn in puncto Regie bleibt es bei schrill-schlüpfrigen Homosexuellen-Klischees bis hin zur überdrehten Truppe der Cagelles. Das sorgt für ein paar Schenkelklopfer und lässt zumindest Teile des Publikums gackern – nur die eigentliche Botschaft von Liebe, Vielfalt und Akzeptanz wird dadurch in eine Nebenrolle gedrängt.

Ähnlich nebensächlich-brav gerät leider auch die Choreografie, die „Les Cagelles“ mehr stolzieren als steppen oder gar ihre Beine fliegen lässt. Schade um das verschenkte Fachwissen und Können dieser Darsteller, in deren Mitte mit Loreley Rivers sogar eine professionelle Dragqueen auftrumpft. Und so wird dann leider nur allzu deutlich, dass die inhaltliche Story dieses Klassikers um das schwule Nachtclub-Pärchen Georges und Albin eher dünn ist: Als ihr Sohn Jean-Michel ausgerechnet ein Mädchen aus erzkonservativem Hause heiraten will, machen die beiden schillernden Paradiesvögel für deren spießbürgerliche Eltern einen auf hetero – das Happy End wirkt dennoch irgendwie angepappt.

Bleibt noch die Musik – und da offenbart sich einmal mehr, dass ein ordentliches klassisches Orchester nicht unbedingt auch das Format für den Swing und Drive, das Flirren und die technischen Finessen eines Musicals hat. Mag sich Chenglin Li am Dirigentenpult auch mühen, es fehlt dem Philharmonischen Orchester Kiel einfach an Esprit und Leichtigkeit wie auch an überraschenden – etwa jazzigen oder rockigen – Akzenten. Zu wenig, um über den einen Ohrwurm hinaus (die Schwulenhymne „I Am What I Am“) nachklingende Erinnerungen zu hinterlassen.

Zumal Jörg Sabrowski im Opernhaus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt ein Publikumsliebling sein mag, doch mit seinem Bassbariton schlicht immer wieder zu viel des Guten als Albin auftönen lässt. Michael Müller-Kasztelan als sein Freund Georges spielt und singt achtbar – und lässt doch reichlich Luft nach oben, sodass Fausto Israel alias Kelly Heelton als Butler-Zofe Jacob mit komödiantischer Leichtigkeit nicht nur die meisten Lacher des Abends einheimst, sondern auch gesanglich aufzutrumpfen vermag: Josephine Baker lässt grüßen.

Am Ende indes zu wenig, um den ansonsten eher konventionell-sinfonisch interpretierten Abend wirklich abheben zu lassen: Es sind halt Männer in den letzten Spätsommertagen, die sich hier präsentieren.


Musikalische Leitung: Chenglin Li • Regie: Bernd Mottl • Choreografie: Christoph Jonas • Bühne: Friedrich Eggert • Kostüme: Frank Lichtenberg • Licht: Martin Witzel • Sounddesign: Julian Jetter • Mit: Jörg Sabrowski (Albin/Zaza), Michael Müller-Kasztelan (Georges), Fausto Israel alias Kelly Heelton (Jacob), Konrad Furian (Jean-Michel), Lenya Gramß (Anne Dindon), Henry Nandzik (Edouard Dindon), Heike Wittlieb (Marie Dindon), Barbara Raunegger (Jacqueline), Strato Stavridis (Francis), Loreley Rivers (Chantal), Tobias Stemmer (Phaedra), Julian Quijano (Mercedes), Tayler Davis (Hanna), Antoine Banks-Sullivan, Tim Grimme, Yannick Illmer (Cagelles) • Philharmonisches Orchester Kiel

Aufmacherfoto: Olaf Struck

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