Paddington hat nun sein eigenes Musical

Wie machen sie das wohl mit dem Bären? Das war die wohl meistgestellte Frage, als die Premiere von „Paddington – The Musical“ angekündigt wurde. Und lange Zeit auch eines der bestgehüteten Geheimnisse des neuen Londoner Musical-Hits. Die Antwort lautet Teamwork. Denn es braucht tatsächlich gleich zwei Menschen, um den pelzigen Protagonisten zum Leben zu erwecken. Gleich in der Eröffnungsnummer treffen wir zunächst auf einen jungen Migranten, der an der Paddington Station strandet und seinen Koffer schließlich an einen Bären weiterreicht. Eine Art knuffiges Alter Ego, das von Arti Shah verkörpert wird, während James Hameed auch nach dem Rollentausch weiterhin geschmeidig den Gesangspart übernimmt und backstage via Fernsteuerung Mimik und Augenaufschlag des Bären kontrolliert. Eine technische Meisterleistung, die eine perfekte Illusion garantiert.
Aber egal, wie kuschelig süß der Bär auch aussehen mag und wie viele langgezogene „Aaaaaaaahs“ und „Oooooooohs“ fast jeden seiner Auftritte begleiten: „Paddington“ will mehr sein als nur eine weitere Adaption der berühmten Kinderbücher. Und das gelingt dem Team rund um Regisseur Luke Sheppard auf ganzer Linie. Wie so viele Musicals ist auch „Paddington“ die Geschichte eines Außenseiters, der sich in einer fremden Welt zurechtfinden muss, in der er anfangs nur aneckt. Zwar hat er ein gutes Herz und ist sofort bereit, sein Notfall-Marmeladenbrot mit anderen zu teilen. Aber gleichzeitig ist er eben auch ein Tollpatsch, der unabsichtlich das Haus der Familie Brown zerlegt oder trotz bester Absichten die Firmenfeier des Vaters sprengt. Wobei manche Szenen durchaus an „Mary Poppins“ erinnern, die in „Paddington“ einen mehr als würdigen Nachfolger gefunden hat. Und ohne groß zu spoilern: Ja, auch hier werden die familiären Probleme sich am Ende in Wohlgefallen auflösen. Weil sowohl Kinder als auch Eltern lernen, dass man ein stets offenes Ohr für andere haben soll und sich Krisen eben am besten immer noch gemeinsam lösen lassen.
Dies bleibt keineswegs die einzige Botschaft, die einem Komponist Tom Fletcher und Autorin Jessica Swale mitgeben. Ex-Boyband-Star Fletcher stand im West End einst selbst in der Titelrolle von „Oliver!“ auf der Musicalbühne und beherrscht das Genre perfekt. Seine Songs überzeugen nicht nur mit eingängigen Melodien und cleveren Texten, sondern feiern vor allem auch den Ort des Geschehens. So ist etwa das von Ellen Kane rasant choreografierte „Rhythm of London“ eine durch und durch optimistische Hymne auf die kulturelle Diversität der Metropole, während sich die Widersacher in diesem Stück lieber hinter den steifen Traditionen der guten alten Kolonialzeit verstecken und dabei Assoziationen an so manche finstere Gestalt aus dem Disney-Kanon wecken.
Ja, da werden durchaus auch einige Klischees bedient. Doch das Ensemble stürzt sich mit so viel Herzblut in die Geschichte, dass man darüber gern hinwegsieht. So ist u.a. West-End-Urgestein Bonnie Langford als schrullige Nachbarin dabei, die selbst mit 61 noch energiegeladen über die Bühne wirbelt und mühelos im Spagat landet. Oder Victoria Hamilton-Barritt, die in bester Cruella-de-Vil-Manier dem Bären ans Fell will und für ihre grandios hassenswerte Performance vom schulpflichtigen Teil des Publikums mit lautstarken Buh-Rufen belohnt wird.
Denn natürlich entführt uns das Stück auch oft in eine von Stereotypen bevölkerte Märchenwelt, die das Ausstattungsduo Tom Pye und Gabriella Slade mit viel Fantasie und beeindruckenden Special Effects heraufbeschwört. Doch im Musical lassen sich mit dem richtigen Gespür eben auch ernste Themen unterhaltsam verpacken. Das macht Regisseur Sheppard spätestens klar, wenn er den jungen Migranten zum Happy End auf die Bühne zurückschickt. „It was his story, just told another way.“
Music Supervision: Matt Brind • Musikalische Leitung: Laura Bangay • Regie: Luke Sheppard • Choreografie: Ellen Kane • Bühne: Tom Pye • Kostüme: Gabriella Slade • Paddington- und Puppen-Design: Tahra Zafar • Licht: Neil Austin • Videodesign und Animation: Ash J Woodward • Illustrationen und zusätzliche Animation: Majid Adin • Sounddesign: Gareth Owen • Mit: James Hameed (Young Man/Paddington Off-stage Performer and Remote Puppeteer), Arti Shah (Paddington (On-stage Performer)), Timi Akinyosade (Tony), Delilah Bennett-Cardy (Judy Brown), Amy Booth-Steel (Lady Sloane), Tarinn Callender (Grant), Adrian Der Gregorian (Mr Brown), Tom Edden (Mr Curry), Brenda Edwards (Tanya), Victoria Hamilton-Barritt (Millicent Clyde), Teddy Kempner (Mr Gruber), Bonnie Langford (Mrs Bird), Ben Redfern (Hank the Pigeon), Amy Ellen Richardson (Mrs Brown) u.a.
Aufmacherfoto: Johan Persson




