
Wiener Schmäh mit Wolfgang Ambros’ „Augustin“
Ehe er sich’s versieht, liegt der liebe Augustin in der Pestgrube. Der Rest ist österreichisches Nationalgut: die Geschichte vom sturzbesoffenen Wiener Volkssänger, der Stunden später zwischen all den Leichen entdeckt und wieder herausgezogen wird – um dann, wie durch ein Wunder, weiter pumperlgsund durchs Leben zu laufen. Eine Sage von Hoffnung. Und natürlich, nicht zu vergessen, mehr Glück als Verstand.
1980 haben Wolfgang Ambros, Joesi Prokopetz und Manfred Tauchen dem Ur-Wiener ein kultgewordenes Hörspiel gewidmet. Jetzt erreicht ihr „Augustin“ die Musicalbühne, abendfüllend angereichert mit vielen Hits des Austropop-Vaters (*1952). Knapp 100 km Luftlinie von der Bundeshauptstadt entfernt, lässt der Musical Sommer Amstetten den legendären Wiener Schmäh auf sein Publikum los.
Lässig hat Christian Frank die Ambros-Lieder neu arrangiert, vom Keyboard aus leitet er eine kleine, sehr feine Bandcombo. Er hat das Gespür dafür, wann Liedermacher-typisch eine einzelne Gitarre völlig ausreicht, wann es aber auch an der Zeit ist, aufzudrehen und die rockigeren Austropop-Momente zu zelebrieren. Musik, die das Lebensgefühl einer ganzen Generation sehr atmosphärisch transportiert – wer diesen Abend erlebt, versteht auch als „zu spät“ Geborener den Kult um Ambros. Schade nur, dass dessen Name an zwei, drei Stellen über der Gesamtdramaturgie steht: Speziell der Klassiker „Schifoan“ wird gesungen, damit er halt auch dabei ist.
Für ihr Buch setzen Thomas Kahry und Christoph Weyers alle Karten auf „Lokal statt International“ und liefern quasi im Sekundentakt derb-liebenswerte Schmäh-Wortspiele – der Zugangscode heißt diesmal eindeutig Dialekt. Wer diesen beherrscht, kommt in den Genuss einer Geschichte voll schwarzem, alles andere als glattgebügeltem Humor: Augustin liebt die Tochter des Bürgermeisters, das „Schwiegermonster“ in spe besteht aber auf eine bessere Partie – und als die Pest über Wien hereinbricht, kommt die ihr gerade recht, um die eigene Tochter und den Straßensänger endgültig zu entzweien. Eine Komödie mit nachdenklichen Zwischentönen, dezent makaber, aber nie geschmacklos.
Dafür hat Intendant Alex Balga die Bühne der Pölz-Halle in stimmigstes Kneipen-Feeling getaucht: gedämpftes Licht, eine Handvoll Tische, ein steinerner Bartresen, eine Fensterfront für projizierte Stimmungswechsel – mehr braucht es nicht, um das Wien des 17. Jahrhunderts zu beschwören. Kostümbildnerin Aleksandra Kica spielt dazu bewusst mit einem Bruch der Zeitebene(n), indem historische Perücken und Stoffhosen mit Lederjacken und einem Hauch Hippie-Kultur einhergehen. Jeder Blick, jede Geste, jeder Schritt in Alex Balgas Regie sitzt – genau wie die Choreografie von Natalie Holtom, die mit einfachen, stark rhythmusbasierten Elementen große Wirkung erzielt.
Vincent Bueno ist ein Augustin mit warmer, kraftvoller, aber nie forcierter Stimme – und bei Bedarf genau der richtigen Dosis Reibeisen, die Geist und Botschaft der Ambros-Songs zusätzlich untermauert. Seine Ausstrahlung: unbezahlbar. Überhaupt erlebt man bis zum kleinsten Sidekick eine grandiose Ensembleleistung mit herrlich überdreht-schrulligen Charakteren: Carin Filipčić alias Der Tod als Rockstar im Glitzer-Outfit („Es lebe der Zentralfriedhof“), Alexandra Frankl als aufgedonnerte Schwiegermutter mit frankophiler „Élégance“, ihr dauerbesoffener Bürgermeister-Gatte mit weinrotem Schädel (Frank Frickel), Lilly Rottensteiner als Witwe Mehlwurm in bester Overacted-Manier und die beiden trocken die Lage kommentierenden Pestknechte von Markus Schöttl und Martin Pasching. Leider wirken nur ausgerechnet Hannah Severin als Augustins große Liebe Corinna und Simon Stockinger als Freund Schab den Rüssel bei allen sängerischen Qualitäten darstellerisch doch sehr bemüht, verkrampft und seelenlos. Mehr als wettgemacht wird das aber vom eigentlichen Beziehungs-Herzstück des Abends, der tiefen Männerfreundschaft zu Rudi, dem Matthias Trattner große Emotionalität verleiht („Zwa wia mia zwa“).
Fazit: ein im besten Sinne unterhaltsamer Abend. Wenn jemand ein Musical für die eigene Region plant, sollte er nach Amstetten fahren – hier sieht man, wie es geht.
Musikalische Leitung: Christian Frank • Regie und Bühne: Alex Balga • Choreografie: Natalie Holtom • Kostüme: Aleksandra Kica • Make-up: Daniela Skala • Licht: Stephanie Affleck • Sounddesign: Bernhard Weigl • Videodesign: Andreas Ivancsics • Mit: Vincent Bueno (Augustin), Hannah Severin (Corinna), Matthias Trattner (Rudi), Simon Stockinger (Schab den Rüssel), Alexandra Frankl (Frau Tepser), Frank Frickel (Bürgermeister Tepser), Carin Filipčić (Tod/Kolschitzky), Markus Schöttl (Prinz Eugen/Pestknecht), Martin Pasching (Graf Starhemberg/Pestknecht), Manuel Ernst (Puffan), Lilly Rottensteiner (Witwe Mehlwurm) u.a. • Band: Christian Frank (Keyboard), Felix Reischl (Gitarre), Harry Peller (Gitarre), Willi Langer (Bass), Mario Stübler (Drums)
Aufmacherfoto: Stefan Sappert