
Die Inszenierung des Musicals „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ in Annaberg-Buchholz ist beste Familienunterhaltung
Taugt ein Wunderauto, das schwimmen und fliegen kann, als Heilmittel für die Übel dieser Welt? Im Falle von „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ ist die Frage zu bejahen. Dabei ging es dem Autor und James-Bond-Schöpfer Ian Fleming zunächst um die eigene Regeneration nach einem Herzinfarkt. Statt Spionage-Action schrieb er ein Kinderbuch, das schnell zum Bestseller avancierte. Darin kreiert der Erfinder Caractacus Potts einen übernatürlichen Wagen, mit dessen Hilfe er und seine Kinder Abenteuer bestehen und Gangster dingfest machen können. 1969 griff Hollywood den Stoff auf, verpflichtete den auf skurrilen Humor spezialisierten Schriftsteller Roald Dahl für das Skript und brachte ihn mit viel Musik ins Kino. Auf der Basis dieser mehrfach ausgezeichneten Verfilmung entstand eine Musicalfassung mit den Songs der Brüder Richard und Robert Sherman, die 2002 in London uraufgeführt wurde. Seitdem fährt „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ um den Globus und machte 2014 erstmals in Deutschland, genauer in München, Station.
Nun ist das Automobil auch im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz angekommen und bezaubert im Eduard-von-Winterstein-Theater Jung und Alt. Schon die bunt-naive, mit liebevollen Details ausgeschmückte Ausstattung von Martin Scherm ist ein Vergnügen. Die Schauplätze wechseln nahtlos: durch bewegliche Versatzstücke wird eine Werkstatt schnell zum Strand, ein Verlies zum Festsaal und das Meer zum Wolkenhimmel. In dieser Kulisse gelingt Regisseur Stefan Haufe eine Inszenierung, die so fantasievoll und lebendig wie charmant ist. Dafür steht ihm eine Besetzung zur Verfügung, die – wie in Annaberg-Buchholz fast schon selbstverständlich – durchweg mit Herzblut bei der Sache ist. Das vielköpfige Ensemble, der verstärkte Opern- samt Kinderchor und die Statisterie, sie alle sprühen nur so vor Spiellust.
Sebastian Smulders gewinnt als Erfinder alle Sympathien, und das Herz der reichen Truly Scrumptious in Gestalt der bezaubernden Zsófia Szabó gleich mit dazu. Talent zeigen die Youngsters Amelie Hadlich und Amélie Ritter, die beide ganz ungekünstelt und glaubwürdig die Geschwister verkörpern. Bettina Grothkopf und László Varga, meist im seriösen Fach zu Hause, sind als missgünstiges Adligen-Duo urkomisch, Vincent Wilke und Jakob Hoffmann amüsieren als trottelige Spione. Und auch die Showelemente, von Stefan Haufe selbst choreographiert, kommen nicht zu kurz. Erst gerät der Song „Mein Bambusstock“ mit Smulders an der Spitze zu einer flotten Revuenummer, dann wird es kurz vor dem Finale spanisch. Da arrangiert die Baronin alias Bettina Grothkopf ein Geburtstagsfest für ihren Gatten und legt dabei zusammen mit sechs Tänzerinnen eine heiße Samba hin.
Markus Teichler und Karl Friedrich Winter wechseln sich zwischen Dirigentenpult und Klavier miteinander ab und sorgen gemeinsam mit der Erzgebirgischen Philharmonie Aue für den schmissigen Orchestersound. „Es geht nichts über Teamwork“ heißt ein Song im Musical. Diese stark bejubelte Aufführung im Eduard-von-Winterstein-Theater ist das beste Beispiel dafür.
Musikalische Leitung: Markus Teichler und Karl Friedrich Winter • Regie und Choreografie: Stefan Haufe • Bühne und Kostüme: Martin Scherm • Mit: Sebastian Smulders (Caractacus Potts), Zsófia Szabó (Truly Scrumptious), Leander de Marel (Großvater Potts), László Varga (Baron Bomburst/Lord Scrumptious), Bettina Grothkopf (Baronin Bomburst/Mrs. Philips), Matthias Stephan Hildebrandt (Kinderfänger/Schrotthändler), Corinna De Pooter (Spielzeugmacher), Amelie Hadlich (Jeremy Potts), Jemima Potts (Amélie Ritter), Vincent Wilke (Boris), Jakob Hoffmann (Goran), Uli Heim (Coggins/Truthahnzüchter), Lukáš Šimonov (Sid), Jessica Böhlmann, Antona Koleva, Lindsay Liedtke, Nataliia Ligai (Tänzerinnen) • Kleindarsteller, Kinderchor, Opernchor des Eduard-von-Winterstein-Theaters, Extrachor des Eduard-von-Winterstein-Theaters • Erzgebirgische Philharmonie Aue
Aufmacherfoto: Dirk Rückschloß/Pixore Photography