GandersheimerDomfestspiele CABARET2025JuliaLormis 2 | MUSICAL TODAY

Cabaret

Doppelbödig

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Venue
Gandersheimer Domfestspiele
by
Joe Masteroff (Buch)
John Kander (Musik)
Fred Ebb (Gesangstexte)
Direction
Achim Lenz
UraufführunG
1966

„Cabaret“ passt bestens vor den Dom

Noch ist die Sonne nicht untergegangen. Ein blauer Himmel wölbt sich über die hoch aufragende Fassade des Gandersheimer Doms. Davor befinden sich die breit angelegte Bühne und der bis auf den letzten Platz besetzte Zuschauerraum. Mit dem berühmten Song „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ eröffnet der hinreißend spielende Hagen-Goar Bornmann als Conférencier die Premiere des Musicals „Cabaret“. Zunächst aber kann sich die Inszenierung nicht gut gegen die milde Atmosphäre des Sommerabends durchsetzen. Zu hell ist noch das Tageslicht, zu weitläufig die mit nur wenigen Requisiten besetzte Bühne. Der ganze szenische Ablauf will nicht recht zusammenwachsen. Und im Publikum wird das Ganze nach nur wenigen Minuten offensichtlich als rhythmische Mitklatschmusik missverstanden. Nicht ungefährlich für das Gelingen oder den Misserfolg einer Premiere.

Dann aber verdichtet sich mit einsetzender Dämmerung rasch das Spiel. Die einfallsreich gestaltete Lichtregie kommt nun immer deutlicher zum Tragen. Die Darstellung wird authentischer und zieht in den Bann. Denn nun kann sich die Doppelbödigkeit der Geschichte besser entfalten. Erzählt wird von Menschen, die am Ende der Goldenen Zwanziger im Umfeld des heruntergekommenen Berliner Kit Kat Clubs leben und lieben. Mittendrin ereignet sich die dynamische Liebesgeschichte zwischen Sally Bowles, dem Star des Clubs, und dem ständig als Schriftsteller scheiternden Amerikaner Cliff Bradshaw. Diese Erzählung ist mit weiteren unterhaltsamen oder anrührenden Menschen-Geschichten gespickt, einschließlich der sich schüchtern anbahnenden Liebe zwischen dem Juden Herrn Schultz und der Vermieterin Fräulein Schneider. In diese bunte Lebenswelt dringt brutal der Geist und Terror des Nationalsozialismus ein und vernichtet am Ende die scheinbar heile Welt in und um den Club. Das Publikum nimmt diese Ebene des Stückes nun fast atemlos zur Kenntnis, wohl wissend, dass es hier auch um aktuelle Entwicklungen geht.

Achim Lenz (Regie) und Dominik Müller (Choreografie) verbinden mit einer Fülle von kreativen Einfällen Spiel, Gesang und Tanz zu einem temporeichen und stets ausdrucksstarken Handlungsfluss. Die 13 Mitglieder der Cast sind dabei kollektiv stets auf Augenhöhe aktiv. Einer der vielen Höhepunkte ist Marlene Jubelius als Sally Bowles mit dem Titel „Maybe This Time“. Vom leisesten schwebenden Tonansatz bis zum extremen Forte-Klang beherrscht sie ihre Stimme und rührt damit an. Ihre darstellerische Kraft verstärkt dabei noch einmal die künstlerische Präsenz. Erschütternd, wie sie später Sallys seelischen Ausbruch nach der Abtreibung ihres Kindes zeigt. Geistreich wirkt der Einfall, beim Song „Money Makes The World Go Round“ den Nazi Ernst Ludwig (Tim Müller) zur Marionette des Conférenciers zu machen. In dieser Rolle findet Hagen-Goar Bornmann mit breit angelegter Ausdrucksstärke alle Facetten der tragischen Queer-Figur. Auch Johannes Krimmel als Cliff, Tabea Scholz als Fräulein Schneider und Kevin Dickmann als Herr Schultz agieren sängerisch und darstellerisch bis ins Kleinste überzeugend und auf hohem Niveau. Frank Bahrenberg liefert als einer der vielen „Gäste“ von Fräulein Kost einen amüsanten Auftritt.

Das Gleiche gilt auch für das Tanz- und Chorensemble der Kit Kat Girls mit Therese Löhle (Alma), Vera Lorenz (Helga), Lisa Radl (Babsi) und Felicia Aimée (Inge). Da wird fetzig, temporeich und ab und zu auch artistisch getanzt, auch als Chor singen sie schön. Eine Klasse für sich ist der Artist Julio Adrián Yanes als Kit Kat Boy, der im wahrsten Sinn des Wortes über Tisch und Bänke geht.

Festival-Kapellmeister Ferdinand von Seebach trägt mit seiner sechsköpfigen Combo eine farbig instrumentierte Version des Orchesterparts zum Spiel bei. Als sich beim Riesenjubel mit Standing Ovations alle verbeugen, entdeckt man auf den T-Shirts der Cast die Worte „Nie wieder“. Spätestens da wird klar, warum dieses Stück vor dem Portal eines Doms besonders gut funktioniert.


Musikalische Leitung: Ferdinand von Seebach • Choreografie: Dominik Müller • Ausstattung: Birte Wallbaum • Mit: Hagen-Goar Bornmann (Conférencier), Marlene Jubelius (Sally Bowles), Johannes Krimmel (Clifford Bradshaw), Tabea Scholz (Fräulein Schneider), Kevin Dickmann (Herr Schultz), Tim Müller (Ernst Ludwig), Nadine Kühn (Fräulein Kost), Frank Bahrenberg (Max/Zollbeamter), Theresa Löhle (Kit Kat Girl Alma), Vera Lorenz (Kit Kat Girl Helga), Lisa Radl (Kit Kat Girl Babsi), Felicia Aimée (Kit Kat Girl Inge), Julio Adrián Yanes (Kit Kat Boy Bobby)

Aufmacherfoto: Julia Lormis/Gandersheimer Domfestspiele gGmbH

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