
„Alice im Wunderland“ erfüllt bunt-spielerisch die Erwartungen
Viele Theatersommer spielte man auf der Bautzener Ortenburg Adaptionen hierzulande beliebter und bekannter Stoffe: „Die Olsenbande“, „Spuk unterm Riesenrad“, „Sherlock Holmes“. Autor der auf die lokalen Verhältnisse angepassten Geschichten war Intendant Lutz Hillmann. Nun, im 29. Jahrgang, findet man wieder ein „vorgefertigtes“ Musical als zentrale Inszenierung. Aus Lewis Carrolls Geschichte „Alice im Wunderland“ haben die Amerikaner Janet Yates Vogt und Mark Friedman ein Musical komponiert, das hier von Tasso Schille für ein gut funktionierendes Halb-Playback aufgearbeitet, mit den notwendigen lokalen Extemporés versehen und mit dem Ensemble aus Schauspielern einstudiert wurde. Das erfüllt alle Ansprüche an ein unterhaltsames Sommertheater.
Für den außerordentlichen Schauwert der Aufführung sorgt das Bühnenbild von Tom Böhm. Er ließ den Schlosshof teilweise aufschütten, um eine mehrfach geteilte Drehbühne nutzen zu können. Neben solch verblüffender Technik wird mit gemalten Wänden, Vorhängen und Bildelementen ganz offensichtlich gespielt: Die Darsteller bauen offen um, Fantasie ist gefragt. Zu Beleuchtung und Pyrotechnik kommen die originellen Kostüme von Katharina Lorenz, die den Abend zum vergnüglichen Schau-Spiel werden lassen. Natürlich bedient sie sich der durch Film und Buchillustration geweckten Erwartungen, hebt sie aber in eine Bildersprache auf, die hervorragend zur Bühnenoptik passt.
Die Inszenierung des Musicals liegt in den Händen von Lutz Hillmann, der sich dabei auf ein gewachsenes und eingespieltes Ensemble auf und hinter der Bühne verlassen kann. Mit Anna Weber-Tcherniak hat er eine Choreografin an der Seite, die das große Ensemble der Volldampf-Schau- und Puppenspieler mit einer extra engagierten Tänzerinnen-Gruppe geschickt zusammenfügt. Herausgekommen ist ein sichtbar handgemachtes Theaterstück, das keine perfekte Illusion erzeugt, aber Lust macht und gute Stimmung erzeugt.
Die Schauspieler des Bautzener Theaters sind umwerfend, wenn es Typen zu spielen gilt. Davon hat die Wunderwelt, in die sich Alice kopfüber stürzt, ja viele zu bieten. Das hektische weiße Kaninchen (Marian Bulang) und die cool-gedopte Raupe (Thomas Ziesch), die Schildkröte (István Kobjela) auf dem Grat zwischen Komik und Weisheit, die mitreißend singenden, tanzenden Geschwister Dideldum und Dideldei (Lisa Lasch und Leonie Mann) oder die zauberhafte Grinsekatze (zur Premiere kurzfristig vom Regieassistenten Nick Schwarz übernommen). Dazu die Zahlen- und Bilderkarten rund um die Herzkönigin. Märzhase und Haselmaus treffen sich zur Teestunde beim Hutmacher, der in der Inszenierung zu einem Führer durch die ganze verrückte Welt wird. Mirko Brankatschk wird so zum zentralen Partner für Julia Leinweber, die die Titelrolle spielt, singt und tanzt.
Es ist die spannendste Aufgabe des Abends. Erst muss sie überzeugend ein Kind spielen, quengelnd und nervig, weil es unbedingt schon groß sein will. Dann muss sie echte Beziehungen zu den Wunderland-Wesen, die ja meist eine Entsprechung in der Realwelt haben, aufbauen. Und schließlich überzeugend ihre Erkenntnis zeigen, dass das Erwachsenwerden noch Zeit hat. Leinweber schafft das mit viel sympathischer Ausstrahlung, lässt sich auf die Rolle ein und verliert nie den Faden zu den Zuschauern. Die sind schlussendlich ganz auf ihrer Seite. Nur die Mutter stutzt, dass für ihre Alice Teerunde, Kartenspiel und Krocket mit den Erwachsenen nun doch nicht die Erfüllung ihrer sehnlichsten Wünsche ist.
So wird die Moral von der Geschicht’ eher durch gemalte, tanzende Blumen gesagt: Behalte Dir was vom Kind-Sein, von Fantasie und Spiel. Der Bautzener Theatersommer macht es vor, bis zum abschließenden Feuerwerk bleiben Stimmung und Applaus auf höchstem Niveau.
Musikalische Leitung: Tasso Schille • Choreografie: Anna Weber-Tcherniak • Bühne: Tom Böhm • Kostüme: Katharina Lorenz • Mit: Julia Leinweber (Alice), Anna-Maria Brankatschk (Herzkönigin/Alices Mutter/Caucus-Läufer), Mirko Brankatschk (Der verrückte Hutmacher), Marian Bulang (Das weiße Kaninchen), Rodrigo Umseher (Die Haselmaus), István Kobjela (Die Scheinschildkröte), Gabriele Rothmann (Der Dodo/Herz 5), Nick Schwarz (Die Grinsekatze), Lisa Lasch (Dideldum), Leonie Mann (Dideldei), Thomas Ziesch (Die Raupe/Caucus-Läufer), Alexander Höchst (Der Märzhase), Erik Dolata (Herzkönig) u.a.
Aufmacherfoto: Roman Koryzna




