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Anastasia 09 | MUSICAL TODAY

Anastasia – Das Musical

Märchen in Schwarzweiß

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Venue
Theater Bielefeld
by
Stephen Flaherty (Musik)
Terrence McNally (Buch)
Lynn Ahrens (Liedtexte)
Wolfgang Adenberg und Ruth Deny (Deutsche Fassung)
Direction
Janina Niehus
UraufführunG
2016

„Anastasia“ fehlt die Farbe

Zwischen historischer Realität und Illusion bewegt sich der Mythos um die Zarentochter Anastasia, die lange als einzige Überlebende der Zarenfamilie der Russischen Revolten von 1918 galt. Bekannt ist die Geschichte der Waise Anja, die mithilfe von Dimitri und Wlad nach Paris und zurück zu ihrer Großmutter findet, vor allem durch den Animationsfilm von 1997. Das passende Musical wird der ein oder andere in der 2018er Stuttgarter Stage-Entertainment-Produktion oder 2022 in Linz gesehen haben. In Bielefeld hüllt Janina Niehus den Märchenstoff nun in ein tristes Gewand, welches die Gestaltungskraft von Musik und Darstellern vor Herausforderungen stellt.

Die „schlanke“ Inszenierung soll Raum für Fantasie lassen, erklärt Dramaturg Jón Philipp von Linden in der Einführung – leider lässt sie im selben Zuge auch Raum für Monotonie und Schwere. Eine schwarzweiße Welt skizziert die Erinnerung der Zarenmutter auf einer leeren Bühne (Ausstattung: Sebastian Ellrich), die mit Bänken, Treppen und Neonröhren die Silhouetten von St. Petersburg und Paris formt; weiße Laken hängen aus dem Schnürboden, die politische Einordnung in die Zeit schaffen Neon-Hammer und -Sichel. Ein Monster-Ventilator – mithilfe von Lichtstreifen als Bühnenbild getarnt – wirbelt Kunstschnee und übermäßigen Nebel in den Zuschauerraum, die Bühne versinkt in Schatten und Dunkelheit. Clever: Ein großes Russland-R baut aus dem Schriftzug „Evolution“ das Wort „Revolution“, während im Finale alle Silhouetten ein Gesamtbild ergeben, dass allerdings nur vom Parkett aus klar zu genießen ist.

Im Kontrast zur Optik begeistert die romantische Musik in Disney-Manier, die von Musical-Kapellmeister William Ward Murta eigens für die Möglichkeiten eines großen Stadttheaterorchesters hierzulande arrangiert wurde. Am Pult lässt er die Zwischentöne glitzern und zaubert einen reichen Orchestersound, der gemeinsam mit den Stimmen auf der Bühne die mitreißende Musik aus dem Film darbietet. In den Choreografien bleibt die Größe der Bühne ungenutzt, die Tänzer stehen sich beim Walzer regelmäßig auf den Füßen, eingeschränkt durch die große Hängebrücke, die sich quer über die Bühne spannt. Die luftigen Stoffe der Kostüme, die historisch inspiriert sind, allerdings durch ihre Einfarbigkeit verschwimmen, lassen wenig Raum für Individualität.

Das Protagonisten-Trio widersetzt sich kraftvoll dieser Märchen-Tristesse. Hanna Kastner, eingesprungen für die erkrankte Lara Hofmann, ist bemüht, ihrer Anja Leben einzuhauchen, Andreas Bongards Dimitri punktet vor allem mit Witz und Charisma, während Carlos Horacio Rivas als Wlad den Sympathieträger gibt. Betty Vermeulens Zarenmutter ist aufweckend kontrastreich, in ihrem Umhang spiegeln sich die Fragmente der zersplitterten Zarendynastie. Nikolaj Alexander Bruckers Solonummern sind die gesanglichen Highlights des Abends, er zeichnet den Antagonisten Gleb Vaganov als gespaltenen Charakter, während der Rest der Figuren märchenhaft oberflächlich bleibt. Engagiert will das dünn besetzte Musicalensemble den großen Ensemblenummern Opulenz verleihen, allerdings stößt der bemühte Opernchor dabei an seine darstellerischen Grenzen.

Das Konzept der Reduktion geht nicht auf, von Paris’ Magie bleibt wenig übrig, was einen den bunten Kitsch der Stage-Produktion fast schon vermissen lässt. Aus der Absicht, eine Dopplung der Romantik des Stoffes in seiner Darstellung zu verhindern, ist eine Negierung der Grundessenz des Stückes geworden. Der leere Raum bleibt großteils unausgefüllt, sodass sich, allen musikalischen Vorzügen zum Trotz, der knapp dreistündige Abend in ausgeschmückten Dialogpassagen und betulichen Ensemblenummern in die Länge zieht. Für Minimalismus und übermäßige Reduktion ist „Anastasia“ das falsche Stück. Denn auch wenn Musical heutzutage bei weitem nicht mehr opulent, quietschbunt und spektakelüberladen sein muss, braucht es – gerade in der heutigen Welt – doch zumindest ein paar Graustufen.


Musikalische Leitung: William Ward Murta • Regie: Janina Niehus • Choreografie: Yara Hassan • Ausstattung: Sebastian Ellrich • Licht: Carsten Lenauer • Sounddesign: Morgan Belle • Chorleitung: Hagen Enke • Mit: Hanna Kastner (Anja), Andreas Bongard (Dimitri), Carlos Horacio Rivas (Wlad Popov), Nikolaj Alexander Brucker (Gleb Vaganow), Betty Vermeulen (Marja Fjodorowna, Zarenmutter), Cornelie Isenbürger (Gräfin Lily Malewski-Malewitsch/Zarin Alexandra/Dunja), Ann-Charlotte Wittmann (Marfa/Säuferin/Solistin Schwanensee/Deutsche Reporterin), Max William Best (Zar Nikolaj II./Paulina/Schwarzmarkthändler/Säufer/Graf Leopold), Niklas Brunner (Schwarzmarkthändler/Säufer/Soldat/Sergej/Russischer Reporter), Lutz Laible (Schwarzmarkthändler/Säufer/Gorlinsky/Graf Grigori/Französischer Reporter), Paata Tsivtsivadze (Graf Ippolitov) • Bielefelder Opernchor • Theaterballettschule • Bielefelder Philharmoniker

Aufmacherfoto: Sarah Jonek Fotografie

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