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Zarah 47 – Das totale Lied

Von der Positionierung der Kunst

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Venue
Tiroler Landestheater
by
Peter Lund (Buch)
Direction
Susi Weber
World premiere
1992

Ist „Zarah 47“ nicht politisch genug?

Kann man heutzutage unpolitisch sein? Die Schwedin Zarah Leander, Sängerin, Schauspielerin und Aushängeschild des NS-Regimes in der goldenen Zeit der UFA, bezeichnete sich selbst als unpolitischen Menschen. Am Tiroler Landestheater lässt Peter Lund die Diva in seinem 1992 uraufgeführten musikalischen Monolog selbst zu Wort kommen. Sie sieht sich anlässlich ihres 40. Geburtstags mit ihrer bisherigen Karriere und politischen (Nicht-)Haltung konfrontiert und lässt durchblicken, dass hinter der unpolitischen Frau doch ganz schön viel Meinung steckt.

„40 Jahre – so alt wird doch kein Schwein!“, lässt sie ernüchtert erklingen. Feines Gelächter geht durch den Saal, dessen Belegschaft sich großteils selbst weit über dieser Altersgrenze befindet. Zarah blickt, in einen Morgenmantel gehüllt, auf ihr Leben, wühlt in verstaubten Kästchen, probiert Perücken und Federboas an, immer noch auf Fanpost hoffend, deren Eintreffen sie säckeweise gewohnt war. Doch diese Zeit ist vorbei, sie pfeffert den Stapel an Rechnungen in den Resonanzboden des nahestehenden Flügels, die Briefe spiegeln sich nostalgisch in seinem offenen Deckel wider.

Gute 100 Minuten monologisiert die „alte schwarze Witwe der deutschen Unterhaltung“ mit Akzent und krausem Haar in Anekdoten und Radioberichten vor sich hin, führt Telefonate mit ihren Zeitgenossen und verhandelt ihren Lebenssinn. Dabei betont sie immer wieder, wie unpolitisch sie sei, und deklariert ihren Hass auf politische Künstler wie Brecht. Sie wollte die totale Sängerin sein, mit dem totalen Lied. Dabei war sie mit ihren Songs wie „Kann denn Liebe Sünde sein“ oder „Davon geht die Welt nicht unter“, die sie uneingeschränkt als Teil der Propaganda im Dritten Reich einsetzen ließ, kein uneinflussreicher Teil dieser „Nazischweine“. Doch sie hielt sich aus der Politik heraus, es ging ihr nur darum, Geld zu verdienen. Schließlich muss man die Revue-Treppe, will man sie im Glitzerlicht herabschreiten, zuerst einmal von hinten heraufkraxeln. Doch kann man Freude bezahlen? Und welchen Preis hat dabei die Moral? Fragen, auf die auch das Stück keine Antwort präsentiert.

Mehr vollumklänglich als rein musikalisch untermalt wird die Protagonistin dabei vom Pianisten Christian Wegscheider, der mit seinem vielseitigen Einsatz von Flügel und Synthesizer für eine dynamische Klangwelt von Orgelbegleitung bis zu Soundeffekten sorgt. Einige der raren lustigen Momente bestehen darin, dass er den Flügel mit dem Po oder dem kleinen Zeh spielt.

Brigitte Jaufenthaler verkörpert die steife Zarah als kühnes Talent und alte Diva zugleich – schön spiegelt ihr Kostüm (Esther Frommann) diese Ambivalenz zwischen Crop Top und Fuchspelz wider. Mit zugleich sanfter und rauer Leichtigkeit in der Stimme zeichnet sie mit viel Gefühl und Zwiespalt eine Frau zwischen Selbstverherrlichung und –zweifel, gefangen in der Rechtfertigung vor sich selbst, vor der Welt und ihrem Gefährten auf der Bühne. Dieser wirft die eine oder andere Replik in den Resonanzraum und erinnert sie mit seiner Musik ständig an ihr selbstgewähltes Los.

Diese Ansätze in der Regie von Susi Weber hätten noch ausfallender gestaltet sein können. So bleibt der hochwertige Abend recht unaufregend fürs Auge, was die Aufmerksamkeitsspanne aller Unter-40-Jährigen auf die Probe stellt. Fehlende Dynamik und ausführliche Sprechpassagen lassen den Blick öfter mal zur Projektion einer Meeresbrandung im Hintergrund schweifen. Am Ende kehrt Zarah zurück auf ihr goldenes Treppchen und lässt das Publikum mit unbeantworteten Fragen zurück, wovon die klarste wohl heißt: Kann man unpolitisch sein? Oder sollte es nicht heißen: Darf man es? Auch im Programmheft endet Dramaturgin Sonja Honold mit der Frage nach dem Ausreichen von Enthaltung. Während der Abend wichtige Anregung gibt, ist er – gerade in der heutigen Zeit – selbst nicht klar genug positioniert. Dabei ist diese „moralische Unbefangenheit“, wie Zarah sie nannte – damals, wie heute – wohl die gefährlichste Form der Bequemlichkeit.


Musikalische Leitung: Christian Wegscheider • Regie: Susi Weber • Ausstattung: Esther Frommann • Licht: Michael Reinisch • Videodesign: David Schuh • Sounddesign: Andreas Lamprecht und Georg Stadler • Mit: Brigitte Jaufenthaler (Zarah), Christian Wegscheider (Piano)

Aufmacherfoto: Cordula Treml

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