
Für die neue Deutschland-Tournee wurde „Ghost“ ordentlich aufpoliert
„Du nahmst mein Ich mit Dir“: Wer die Liebesgeschichte von „Ghost“ bisher nur durch die berühmte Töpferszene aus dem 1990er Film mit Whoopi Goldberg, Demi Moore und Patrick Swayze kannte, den erwarten hier einige Überraschungen. Zu einem vielschichtigen Thriller mit dramatischer Musik, viel Humor und noch mehr Showeffekten entfaltet sich die Geschichte um den Banker Sam, der durch einen Raubüberfall aus dem Leben und weg von seiner großen Liebe Molly gerissen wird. Als Geist im „Zwischendrin von Himmel und Hölle“ gefangen, kommt er der Gefahr, in der sich Molly weiterhin befindet, wie auch seinem eigenen Mord auf die Spur.
Regisseur Manuel Schmitt leitet mit der Neuinterpretation dieses erfolgreichen Musical-Stoffes einen umjubelten Auftakt der Deutschland-Tournee im Deutschen Theater München ein und begeistert dabei vor allem mit beeindruckenden Projektionseffekten. Der gewaltige Sound reißt einen von Minute eins mit auf eine dynamische Reise, die weit mehr ist als nur eine Liebesgeschichte. Neben Liebe und Verlust, Leben und Tod geht es um Verrat, Verlust, Geldgier und das Abschiednehmen, verpackt in einem RomCom-artigen Krimi und mit ordentlich Streuseln garniert. Schade, dass all dem in dieser Tour-Produktion von ShowSlot kein Programmheft gegönnt wurde.
Dennoch, jedwede stückliche Unstimmigkeit überspielt die imposante Inszenierung gekonnt mit opulenter Optik und spektakulären Showelementen. Dabei haben sich die Ausstatter (Video: Grigory Shklyar / Set: Sam Madwar) selbst übertroffen: Fahrbare Wände geben den Blick frei auf hyperrealistische, perspektivische Projektionen, von New Yorker Glasfassaden und Brooklyner Brownstones bis zu Wohnungs- und Büroinnenräumen. Verbunden mit Straßenlärm und unsichtbaren Übergängen verschlingen sie den Zuschauer förmlich in ihre Welt. Von einer vorbeischnellenden U-Bahn bis zu einem sich scheinbar in die Wolkenkratzer New Yorks erhebenden Aufzug werden komplexe Spielorte und ungewohnte Perspektiven geschaffen; gepaart mit der intensiven Lichtregie von Michael Grundner in Streifen, Blenden und Impulsen, sorgt die Special-Effekt-Show stellenweise für Reizüberflutung. Trotz alledem überwiegt die Wirkung der Musical-Magie: Die letzte Umarmung des Paares, in der Sams Geist in einer Verwandlung auf einmal wie durch Magie den Körper wechselt, erntet erstaunten Szenenapplaus.
Leider bleiben die Sängerstimmen größtenteils hinter der vom Band eingespielten Musik, worunter vor allem die Textverständlichkeit leidet. Dafür ballert die Musik aber mit Bass und E-Gitarre so schwungvoll-rockig, dass der fehlende Live-Faktor erst auffällt, als beim tosenden Schlussapplaus kein Kapellmeister erscheint.
Das starke Protagonisten-Trio ergänzt sich gut: Lucas Baiers stimmliche Growl- und Falsett-Effekte als Carl begeistern ebenso wie seine charakterliche Tiefe – vom besten Freund und „drittem Rad am Wagen“ zum verzweifelten Verräter, dem als Strafe nur noch die Hölle winkt. „Millionen mit ’nem Klick“: Kapitalismuskritik äußert sich hier in Smombie-Choreografien und blinkenden Handy-Bildschirmen. Bianca Basler spielt und singt die Molly souverän und emotionsgeladen. Robin Reitsma als Sam meistert die Rolle des unsichtbaren Geistes mit warmer Stimme und ausdrucksstarkem Spiel. Oda Mae Brown (UZOH) und ihre Soulgirls (Annika Böbel, Aminata Ndaw) bestechen durch komödiantisches Timing und Extravaganz. Das flinke Ensemble tanzt rasant um die Handlungsverwandlungen herum, dient als Büroausstattung im Business-Sneaker-Look oder zeichnet mit dezentem Glitzer in der Garderobe die restlichen Geister – einer davon ist Ulrich Talle, herrlich als am Rollator tänzelnder Rentner-Geist.
An diesem Abend ist alles hochpoliert, Ecken und Kanten gibt es nicht, dafür aber viel Dramatik, Komik und Effekte. Der Hyperrealismus ist Geschmackssache, diese Achterbahn der Gefühle aber definitiv sehenswert.
Musikalische Leitung: Hans Rose und Luis Richter • Regie: Manuel Schmitt • Choreografie: Timo Radünz • Bühne: Sam Madwar • Videodesign: Grigory Shklyar • Kostüme: Mara Lena Schönborn • Licht: Michael Grundner • Sounddesign: Dennis Heise • Mit: Robin Reitsma (Sam Wheat), Bianca Basler (Molly Jensen), Lucas Baier (Carl Brunner), UZOH (Oda Mae Brown), Sandro Wenzing (Willie Lopez), Ulrich Talle (Krankenhausgeist), Sophie Alter (U-Bahngeist), Annika Böbel (Clara), Aminata Ndaw (Louise), Simon Tofft (Beiderman), Silja Teerling (Mrs. Santiago) Luisa Meloni (Ortisha u.a.) u.a. • Musik vom Band
Aufmacherfoto: Nico Moser für ShowSlot