
„Gefährliche Liebschaften“ glaubhaft besetzt
Moral und Anstand: zeitlose Wertekategorien, die in der Kunst oft hinterfragt werden. So hat auch der Roman „Les Liaisons dangereuses“ („Gefährliche Liebschaften“) von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos seit seinem Erscheinen 1782 immer wieder für Aufsehen gesorgt. Der Plot ist pikant: Zwei Intriganten wetteifern um die Deutungshoheit moralischer Nicht-Integrität. Es ist auch ein Wettkampf zwischen Mann und Frau, zwischen dem Lüstling Vicomte de Valmont und der von Rachegefühlen getriebenen Marquise de Merteuil.
Was fast wie ein Krimi vor über 200 Jahren in die Welt kam, gilt auch heute noch als bevorzugte Vorlage für Film, Theater, Oper und Musical. Das Theater Nordhausen hat das Musical „Gefährliche Liebschaften“ von Wolfgang Adenberg (Buch und Liedtexte) und Marc Schubring (Musik) jetzt in seiner Interims-Spielstätte ins Programm genommen – und landet einen Hit.
Ivan Alboresi lässt die Skandalgeschichte des Ancien Régime am Vorabend der Französischen Revolution zwischen Salonkomödie und Kammerspiel agieren. Daraus entsteht eine hinreißende Atmosphäre, die über den Zeitraum der Handlung hinausgeht und ohne konkrete Aktualisierung den Stoff gegenwärtig macht. Wolfgang Kurima Rauschning schafft mit wenigen Versatzstücken – es sind hauptsächlich verspiegelte Türen – wunderbare Räume der Intimität. Die Drehbühne verwandelt die Szenerie schnell, der Erzählfluss wird nie unterbrochen. Die Kostüme von Anja Schulz-Hentrich strahlen schlichte Raffinesse und Exaltiertheit aus.
Sehr glaubhaft ist auch die Besetzung, allen voran Johanna Zett als Marquise de Merteuil, Freundin und Biest. Hinter dieser Maske scheint immer die gedemütigte Frau durch, die nur eine Möglichkeit für sich sieht: Rache. Sie ist eine Hydra, die am Ende den gesellschaftlichen Halt verliert; all diese Facetten spielt Zett klar und überlegen. Ein musikalischer Höhepunkt der Aufführung ist ihr Lied „Liebe macht uns schwach“ – ein Statement gleichzeitig für die Empathielosigkeit, die sie als Überlebensstrategie entwickelt. Dabei gerät die naive, unschuldige Cécile de Volanges, gerade aus dem Kloster kommend, auf Drängen ihrer Mutter ins Spinnennetz der Marquise. Leonie Dietrich spielt diese Cécile als schönen Backfisch, der, durch Valmont verführt und zur Frau gemacht, am Ende der Geschichte wie eine Femme fatale wirkt.
Anja Daniela Wagner ist als Madame des Volanges bis zum Schluss davon überzeugt, ihrer Tochter damit den Weg in die Welt ermöglicht zu haben. Ganz anders Madame de Tourvel: Auch sie wird zum Opfer von Valmont. Die Tugendhafte geht an ihrer eigenen Moral zugrunde. Yuval Oren spielt das großartig; wie stark ihr Glaube an die wahre Liebe ist, erklärt sich u.a. durch pointiert philosophische Einwände dem geliebten Valmont gegenüber. Dass auch er an dieser Liebe zerbricht und sein ganzes Sinnen- und Handlungsgebäude am Ende ins Wanken gerät, zeigt David Arnsperger. Wie er anfangs mit machohafter Attitüde die Damenwelt umarmt, um in Tragik zu enden, macht diesen Abend sehens- und hörenswert.
In kleineren Rollen überzeugen in Gestus und Stimme Marian Kalus als Céciles Liebhaber Chevalier de Danceny, Brigitte Roth als Madame de Rosemonde und Julia Ermakova als Opernsängerin. Der Chor unter Markus Fischer macht seine Sache vorzüglich. Marc Schubring schuf eine Klangwelt, die wunderbar zur Welt des französischen Adels passt. Und dann passiert es doch! Der ewige Kampf des Orchesters und der Bühne: Das Loh-Orchester Sondershausen spielt in einem Nebenraum, aber Julian Gaudiano, der die Aufführung musikalisch verantwortet, hat offensichtlich die akustischen Verhältnisse des Zuschauerraums überschätzt. In den lyrischen Passagen brilliert das Orchester, bei einigen Balladen ist die Lautstärke zumeist am Ende der Songs übertrieben und erstarrt zur Peinlichkeit. Trotz dieses Einwands: Ein Erfolg ist dieser Abend allemal.
Musikalische Leitung: Julian Gaudiano • Bühne: Wolfgang Kurima Rauschning • Kostüme: Anja Schulz-Hentrich • Choreinstudierung: Markus Fischer • Mit: Johanna Zett (Marquise de Merteuil), David Arnsperger (Vicomte de Valmont), Yuval Oren (Madame de Tourvel), Leonie Dietrich (Cécile de Volanges), Marian Kalus (Chevalier de Danceny), Brigitte Roth (Madame de Rosemonde), Anja Daniela Wagner (Madame de Volanges), Florian Tavic (Azolan), Rina Hirayama (Joséfine de Fontillac), Julia Ermakova (Opernsängerin) u.a. • Opernchor des Theaters Nordhausen • Loh-Orchester Sondershausen
Aufmacherfoto: Tim Müller