Andrew Lloyd Webbers „Evita“ nach 28 Jahren wieder im Schlosshof
In den vergangenen Jahren präsentierten die Schlossfestspiele Ettlingen eher wenig bekannte Musicals, die erst ihr Publikum finden mussten. In diesem Jahr wählte man dagegen einen absoluten Publikumsrenner, mit dem kaum etwas schiefgehen kann. Andrew Lloyd Webbers „Evita“ gehört seit seiner Premiere vor 46 Jahren zu den beliebtesten Beiträgen des Genres und war schon früher in Ettlingen zu hören. Damals standen mit Elzabé Zietsman und Øystein Wiik international bekannte Interpreten auf der Bühne, nun versucht man mit jungen Stimmen, den damaligen Erfolg zu wiederholen.
Solvejg Bauer, die Intendantin der Festspiele, versucht nicht, die Handlung neu zu erfinden. Ihre Inszenierung unterstreicht den ambivalenten Charakter der Eva Duarte, genannt Evita, das Changieren zwischen Heiliger und Hure zeichnet schon das Libretto von Tim Rice aus. Einer der wichtigsten Protagonisten des Werkes liegt in den Händen des Bürgerchors der Schlossfestspiele: das argentinische Volk. Schon seine schiere Masse von weit über 50 Sängerinnen und Sänger hinterlässt einen starken Eindruck und kleinere Mängel in der Präzision werden durch eine immense Spielfreude mehr als wettgemacht. Kein Wunder, dass „Wach auf, Argentinien“ zu einem Höhepunkt des Abends avanciert.
In der Titelpartie empfiehlt sich Janina Wilhalm vor allem durch ihre grandiose Darstellung. Alle Aspekte der ebenso geliebten wie verteufelten Präsidentengattin fließen in ihre Gestaltung ein. Ihr todkrank gehauchtes „Und ich will Vize-Präsidentin sein“ geht einem wahrhaft unter die Haut. Aufgrund leichter Schwächen in der Höhe mag es stimmlich bessere Evita-Sängerinnen geben, den Gesamteindruck beeinträchtigt das aber kaum. Skrupellosigkeit, Zielstrebigkeit und unbändiger Ehrgeiz, aber auch Charme und Charisma sah man selten so perfekt zu einer Einheit verschmolzen. Ihr zur Seite (oder eher gegenüber) steht Til Ormeloh, der sich als Che zum unumstrittenen Star der Aufführung krönt. Welch eine grandiose Musicalstimme – von schmeichelnden Piani bis zu harten Rock-Rhythmen stehen ihm alle gesanglichen Facetten zur Verfügung. Schauspielerisch bleibt er der neutrale Beobachter, das Geschehen entlockt ihm meist nur ein Kopfschütteln. Vielleicht könnte er etwas mehr Ironie oder gar Zynismus zeigen, doch angesichts dieser Stimme: geschenkt. Im „Walzer für Eva und Che“ finden die beiden Protagonisten schließlich in einem hinreißenden Duett zusammen.
Mit Sascha Stead ist Juan Perón einem Schauspieler anvertraut, der in der Rollengestaltung wenig Wünsche offenlässt und stimmlich eine achtenswerte Leistung bietet. Daneben agiert ein siebenköpfiges Gesangs- und Tanzensemble, welches diverse Chorsoli und die von Pia Wäbs choreografierten Tanzeinlagen übernimmt. Aus dessen Reihen kommen auch die Interpreten der beiden mittleren Partien, der allzu brav agierende Thijs Kobes als gut singender Agustin Magaldi und die etwas zu kleinstimmige Diana Schnierer als Peróns Geliebte.
Roun Zieverink leitet das dreizehnköpfige Orchester, dessen vier Streicher im Gesamtklang jedoch zumeist untergehen und der deswegen zu bläser-/percussionlastig ist. Zumal sich die Aussteuerung als Schwachpunkt des Abends erweist. Weder gelingt es, die Stimmen der Protagonisten sauber zu trennen noch den Chor klar einzufangen. Und die Textverständlichkeit geht oft im Orchesterklang unter. Selbst die Violinen klingen hinter der Verstärkung etwas quäkig. Dies wird sich hoffentlich im Laufe der Aufführungen noch einspielen. Das Publikum indes scheint es kaum zu stören, der Beifall ist ausgesprochen herzlich und ausdauernd. Und natürlich wird der Kinderchor, der bei „Santa Evita“ durch seine Einsatzfreude begeistert, ganz besonders gefeiert.
Musikalische Leitung: Roun Zieverink • Chor: Bernard Bagger • Choreografie: Pia Wäbs • Bühne: Christian Held • Kostüme: Gesa Gröning • Licht: Michael Grundner • Sounddesign: Dirk Müller • Mit: Janina Wilhalm (Eva Perón), Til Ormeloh (Che), Sascha Stead (Juan Perón), Thijs Kobes (Agustin Magaldi), Diana Schnierer (Geliebte Peróns) u.a. • Bürgerchor und Kinderchor der Schlossfestspiele Ettlingen
Aufmacherfoto: Michael Bode