Ein Kulturhauptstadt-Musical in der ehemaligen Sensenfabrik
Als Bühne hat man eine alte, lange nicht mehr benutzte Werkhalle adaptiert – im Industrie-Areal des „Sensenwerks Redtenbacher Simon seel., Wwe & Söhne“, wie auf einer Inschrift an der Fabrikmauer zu lesen ist. Tag für Tag waren dort in der Ortschaft Scharnstein im waldreichen Almtal nahe des Traunsees über tausend Sensen und Sicheln hergestellt worden: das größte Sensenwerk der K&K-Monarchie, vielleicht sogar Europas, das nach 300 Jahren 1987, bedingt durch das Ende der vorindustriellen Landwirtschaft, schließen musste. Hermann Miesbauer hat bei „Salzkammergut 2024 – European Capital Of Culture Bad Ischl“ ein Musicalprojekt über diese Fabrik eingereicht. Der umtriebige Komponist und Bandleader, der 2017 für das Festival „Rock in Rio“ komponierte, wurde im nahen Gmunden geboren. Sein Vater war Schlagzeuger, aber vor allem hat er noch das unentwegte laute Hämmern in der Fabrik, das er als Kind ständig hörte, im Ohr. Die Ouvertüre seines Musicals gibt diese Geräusche elektronisch wieder.
„Hammer! Die Geschichte von Robert und Julia“ spielt zur Zeit der Schließung der Scharnsteiner Fabrik und verknüpft sie mit einer Liebesgeschichte. Robert muss auf Elektriker umlernen, während Julia in Wien Betriebswissenschaft studiert. Ein altes Puch-Moped, mit dem man eine Freundin zum Mitfahren einladen, und ein Kaugummi-Automat, aus dem im Glücksfall ein Plastik-Liebesring herausfallen kann, sind auf der sonst fast leeren Bühne aufgestellt. Aber warum wollen Roberts alleinerziehende Mutter, die vormals in der Fabrik gearbeitet hatte und nun auf Gastgewerbe umsatteln musste, und Julias verwitweter Vater, ein Gewerkschaftsführer, nichts von einer Verbindung ihrer beider Kinder wissen? Librettist und Regisseur Nik Raspotnik erzählt mit diesem Personenquartett konzentriert Heimat- und Industriegeschichte. Videoeinspielungen veranschaulichen die Arbeit in der Sensenfabrik.
Hinter einem Vorhang befindet sich eine zwölfköpfige Band, darunter acht Bläser. Sie mischen sich nur manchmal als stumme Statisten in das Spiel. Hermann Miesbauers aus Scharnstein stammende „RAT Big Band“ besteht nun schon vierzig Jahre, „Tribute to Glen Miller“ heißt einer der Auftritte im Kulturhauptstadt-Jahr. Und auch in „Hammer!“ finden sich viele süffig-nostalgische Anklänge an die Siebziger und Achtziger, ebenso nachdenkliche Songs und ein Schlagerduett: „Zwei Sterne“. „Die Wege in Scharnstein sind kurz“, heißt es immer wieder – wohl im Gegensatz zur geschmähten anonymen Großstadt Wien. Dennoch ist die Aufführung, so regional gebunden sie sein mag, nirgendwo provinziell hinterwäldlerisch. Die Darsteller agieren routiniert professionell, insbesondere Kerstin Turnheim als Roberts Mutter, aber auch Michael Kuttnig als Julias forscher und selbstzweiflerischer Vater. Souverän präsentieren sich die beiden Salzkammergut-Jugendlichen Simon Geiner und Clara Sabin in den Titelrollen.
Das Musical ist gleichzeitig ein Abschied von den historischen Werkhallen. Das Industrieareal wird kurz nach den Aufführungen von der Öko-Firma „Grüne Erde“ übernommen. Doch den 1980er Jahre Kaugummi-Automat mit dem Liebesring für Julia könnte man gewiss auch auf einer anderen Bühne aufstellen. Die regionale Geschichte von „Hammer!“ ließe sich insofern vermutlich übertragen.
Musikalische Leitung: Hermann Miesbauer • Regie und Bühne: Nik Raspotnik • Kostüme: Kerstin Turnheim • Videotechnik: Josef Pitschmann • Sound- und Lichttechnik: Gery Pühringer • Vorproduktion Musik: Andreas Luger • Mit: Kerstin Turnheim (Ursl), Michael Kuttnig (Johann), Clara Sabin (Julia), Simon Gerner (Robert) • RAT Big Band
Aufmacherfoto: Gernot Wührleitner