Das Musical „Die Gänsemagd“ stellt eingefahrene Rollenbilder auf den Kopf
Zu Ehren des 200. Geburtstags von Jacob Grimm fanden 1985 die ersten Brüder-Grimm-Märchenfestspiele in Hanau statt. Jacob (1785-1863) und sein Bruder Wilhelm (1786-1859) wurden hier geboren und haben in ihren „Kinder- und Hausmärchen“ über 200 einschlägige Texte zusammengetragen. Im Jahr 2000 wurden die Festspiele ins Amphitheater der Stadt verlegt und 2014 in Brüder Grimm Festspiele umbenannt. Dieses Jahr feiern sie ihren 40. Geburtstag. Eröffnet wird mit einer Musical-Fassung des Märchens „Die Gänsemagd“, das 1815 erschien.
Der originale Stoff wurde deutlich verändert und modernisiert – vor allem sprachlich –, sodass die Geschichte die Zuschauer des 21. Jahrhunderts anzusprechen vermag. Prinzessin Rosa (Myriam Akhoundov) lebt seit dem Tod ihrer Mutter bei ihrer Tante, der Königin Agatha (Charlotte Heinke). Ihre beste Freundin ist die Gänsemagd Alma (Sandra Leitner), die am selben Tag geboren wurde. Rosa bekam von ihrer Mutter das Pferd Falada (Felix Heller) geschenkt, und Gans Uschi (Franziska Kuropka) ist Almas Lieblingstier. Die Tiere können sprechen, doch Menschen verstehen sie nicht.
Die zwei Freundinnen feiern ihren 18. Geburtstag. Rosa soll nun heiraten, wie es sich für eine Prinzessin gehört, keiner der Anwärter entspricht jedoch ihrem Ideal. Der König (Hartmut Volle ersetzt bei der Premiere den erkrankten Dieter Gring) eines benachbarten Reiches entsendet seinen Sohn Theobald (Florian Sigmund) zur Brautschau. Dieser begegnet nicht Rosa, sondern Alma, und es scheint zwischen den beiden zu funken. Als Agatha Rosa dennoch zwingt, Theobald zu heiraten, tauschen die Freundinnen ihre Rollen, mit der Absicht, so die Welt zu verbessern. Alma heiratet den Prinzen, Rosa verrichtet Dienst im Stall, wo sie Kürdchen (Alexander Irrgang), einen Gänsehirten, kennenlernt. Als das vertauschte Rollenspiel auffliegt, riskieren beide wortwörtlich Hals und Kragen und müssen sich etwas einfallen lassen.
Autorin Franziska Kuropka gelingt es, ein altes Märchen auf anspruchsvolle Weise in die heutige Zeit zu tragen. Humor dominiert, dazu gibt es auch emotional-esoterische Momente wie der Tod von Ilse (Mona Graw), Almas Mutter, oder die Ermordung von Falada. Die Musik von Lukas Nimscheck vermag diese Augenblicke mit den Liedern „Wehe Windchen“ und „Faladas Enthauptung“ gefühlvoll zu untermalen. Als Regisseur zurrt der Komponist die Handlungsfäden auf glatten Linien. „Ein kleines Licht“ ist eine gefühlvolle musikalische Beschreibung vom Tod Ilses und Faladas. Bei der Bräutigamschau im Thronsaal lässt es Agatha mit „Zieht in die Schlacht“ so richtig rocken, vom musikalischen Leiter Dominik Franke prächtig auf Kurs gebracht und choreografisch durch David Hartland bestens flankiert.
Alle singen auf hohem Niveau. Am besten gefallen Myriam Akhoundov und Sandra Leitner als Trägerinnen der Geschichte. Franziska Kuropka beweist, dass sie nicht nur ein gutes Händchen mit der Adaption des Märchens hatte, sondern überzeugt auch als Gans Uschi. Die Bühne (Hans Winkler) erhebt sich auf zwei Etagen, wobei sich unten hinter zwei Drehtüren die Bestallungen des Schlosses und die Kerker verstecken. Oben herrscht der Thronsaal über die Bühne, daneben sitzt das vorzüglich aufspielende Orchester.
Der Wechsel von ruhigen und rockigen Klängen gefällt sehr gut, genau wie die Geschichte, die als Parabel für eine gleichberechtigte Welt steht, in der das Blut des Adels so viel wert ist wie das der Bediensteten.
Musikalische Leitung: Dominik Franke • Choreografie: David Hartland • Bühne: Hans Winkler • Kostüme: Anke Küper und Kerstin Laackmann • Ton: Sebastian Heil • Licht: Jan Langebartels • Mit: Myriam Akhoundov (Prinzessin Rosa), Sandra Leitner (Magd Alma), Mona Graw (Dienerin Ilse), Charlotte Heinke (Königin Agatha), Felix Heller (Falada), Franziska Kuropka (Uschi), Florian Sigmund (Prinz Theobald), Alexander Irrgang (Kürdchen/Wache Olaf), Hartmut Volle (König), Ruth Lauer (Zofe Tamara/Dienerin Trude/Pferd), Viola Wanke (Näherin Sarah/Dienerin Sonja), Tim Taucher (Diener Wurm/Prinzbewerber/Wache Winfried), Stephan Schöne (Küchenjunge/Diener Ansgar/Prinzbewerber) • Live-Band (Piano, Schlagzeug, Bass, Cello, Violine)
Aufmacherfoto: Brüder Grimm Festspiele/Hendrik Nix