Mit der Uraufführung „Die Königinnen“ wird ein historisch bedeutendes Kapitel der englischen Geschichte eindrucksvoll nacherzählt
Es wird nur noch wenige Stunden dauern, bis sich der „Kopf von der Wirbelsäule“ trennt. Dieser düstere Satz fällt in den ersten Minuten der Vorstellung. Die Handlung des Musicals „Die Königinnen“ von Henry Mason und Thomas Zaufke startet mit dem Ende eines folgenschweren Konflikts zweier Frauen auf der britischen Insel. Wenige Stunden vor der Enthauptung Maria Stuarts auf Befehl von Elisabeth I. schwanken zwei alternde Königinnen über die Bühne – die eine mit erstarrtem, grell weiß geschminktem Gesicht, die andere sich vor Magenschmerzen krümmend. Das Ende ist bekannt wie der historische Hintergrund: Das Beil fällt, Maria Stuart ist enthauptet.
Wer sein Wissen über das Elisabethanische Zeitalter (1558-1603) auffrischen möchte, wird in diesem Musical mit historischen Fakten gefüttert. Akribisch wird das Leben der Königinnen Elisabeth I. von England und Maria Stuart, Königin von Frankreich und Schottland, aufgerollt. Für Geschichtsmuffel: Langeweile kommt nicht auf. Der gebürtige Brite Henry Mason verfasste die Dialoge mit feiner, aber auch robuster Klinge, gewürzt mit schwarzem Humor. Für den auf deutschen Bühnen bestens bekannten Texter und Germanisten ist dieses Musical-Libretto das zweite Auftragswerk für das Landestheater Linz. Er konnte bereits mit „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Komponist Thomas Zaufke, Erfolge einheimsen. Unter anderem wurde dieses Werk mit dem Deutschen Musical Theater Preis 2019 ausgezeichnet.
Elisabeth und Maria Stuart trafen nie persönlich aufeinander. Das Musical bietet die Möglichkeit, das Leben der beiden Frauen parallel auf der Bühne zu verfolgen. Vor einem düsteren Felsblock (Bühnenbild: Stephan Prattes) beobachten sich die beiden Damen von der Geburt bis zum Höhepunkt ihrer Auseinandersetzung. Gelegentlich kommentiert die eine die Entscheidung der anderen oder hat Mitleid mit der Konkurrentin. Die „persönliche“ Kommunikation erfolgt ausschließlich über das Verlesen von Briefen. Insgesamt eine feinsinnige Idee von Regisseur und Choreograf Simon Eichenberger, die dazu beträgt, dass man als Zuschauer völlig vom Schicksal der beiden mächtigen Frauen vereinnahmt wird. Ihre Herausforderungen als Herrscherinnen, von denen nur eine der Kampf zwischen Katholiken und Protestanten war, in einer männerdominierten Welt sind beachtlich.
Wer von der Musik locker-leichte Musical-Melodien erwartet, wird enttäuscht. Die wuchtige Musik des höchst erfolgreichen Komponisten Thomas Zaufke wird der Dramatik des Stoffes gerecht. Gewaltige Tonwellen rollen aus dem Orchestergraben, meisterhaft bewältigt vom Bruckner Orchester Linz unter Leitung von Tom Bitterlich. Allerdings fehlen zündende Songs als Highlights, kein Ohrwurm schmeichelt sich ans Publikum, dafür sind einige Gesangsstücke perfekt auf die Stimmen der Hauptdarstellerinnen zugeschnitten. Alexandra-Yoana Alexandrova in der Rolle der schottischen Königin und Daniela Dett als Elisabeth I. beherrschen ihr Handwerk: großer Stimmumfang, Bühnenpräsenz, Wortdeutlichkeit und Spielfreude. Das personalmäßig großzügig bestückte Ensemble steht den Hauptdarstellerinnen in nichts nach und beweist nicht nur Stimmsicherheit, sondern vor allem auch ein hohes Maß an Beweglichkeit in den einfalls- und abwechslungsreichen Choreografien. Lucius Wolter gibt gekonnt einen wenig sympathischen Lord Darnley, Gernot Romic weiß als Earl of Moray, Halbbruder Maria Stuarts, zu überzeugen, und Lukas Sandmann überrascht mit weichem Timbre in der kleinen, aber wichtigen Rolle als Thronfolger James. Kaum fällt der Kopf von Maria Stuart, die in einem atemberaubenden roten Kleid zum Schafott marschiert, und der letzte Ton verklingt, erhebt sich das Publikum in Linz zu wohlverdienten Standing Ovations.
Musikalische Leitung: Tom Bitterlich • Regie und Choreografie: Simon Eichenberger • Bühne: Stephan Prattes • Kostüme: Conny Lüders • Lichtdesign: Michael Grundner • Leitung Extrachor: David Alexander Barnard • Mit: Alexandra-Yoana Alexandrova (Maria Stuart), Daniela Datt (Elisabeth I.), Christian Fröhlich (William Cecil), Gernot Romic (Henri II./Earl of Moray u.a.), Max Niemeyer (Morton u.a.), Sanne Mieloo (Marie de Guise u.a.), Ariane Swoboda (Caterina de Medici u.a.), Lukas Sandmann (François II./James VI. u.a.), Lucius Wolter (Lord Darnley u.a.) u.a. • Extrachor des Landestheaters Linz • Bruckner Orchester Linz
Aufmacherfoto: Barbara Pálffy